1. Reichstag, Weimarer Republik


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Seite 59

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hoffe, daß diese und andere Anträge der Unabhängigen einigen verstiegenen Idealisten, die sich aus religiöser Unklarheit in die Reihen der Unabhängigen hinein verirrt haben, die Augen öffnen wird.

(Heiterkeit links.)

Wenn aber darüber hinaus Herr Dr. Löwenstein mit seiner Dialektik - er selbst brauchte ja das Wort, daß die Dialektik mehr oder weniger ein Kunststück sei, - dieses heute in die geltende Reichsverfassung hineinlesen wollte, so war das doch auch Herrn Kollegen Hellmann etwas zu viel, und ich muß gestehen, ich fühle mich etwas erinnert in Tage, wo ich mir Mühe gab, micht quellenmäßig ein wenig in den Talmud einzuarbeiten,

(Heiterkeit links)

oder in jene Stunden, in denen ich unter der liebenswürdigen Führung des Herrn Kollegen Haas im Kriege Gelegenheit hatte, Talmudschulen des Ostens persönlich kennenzulernen. Da war auch eine ähnliche Dialektik, die alles herauslesen konnte, was sie herauslesen wollte. Es ist aber kennzeichnend auch für die Mehrheitssozialisten, daß sie der Entschließung der Unabhängigen:
Die Reichsregierung zu ersuchen, einen Entwurf der Grundsätze vorzulegen, nach denen binnen einer befristeten Zeit der Religionsunterricht von den bestehenden öffentlichen Schulen abzulösen ist,
auch ihrerseits zugestimmt haben (

Zuruf von den Sozialdemokraten: Unser Programm!)

Nun, ich nenne ein Wort Augustins, das den ewigen Grund aller Religion und allen Religionsunterrichts offenbar macht:
Gott hat uns auf sich hin geschaffen, und ruhelos ist unser Herz, bis es ruht in Gott.
Und wenn Herr Hellman sagt, der schwarze Schatten des Kreuzes solle nicht auf die Seelen der Jugend fallen, dann hoffe ich, im Sinne der großen Mehrheit unseres Volkes zu sprechen, wenn ich sage: Das helle Licht des Kreuzes soll auch auf die Seelen der Jugend fallen!

(Lebhaftes Bravo bei den Deutschnationalen.)

Vizepräsident Dietrich (Breslau): das Wort hat der Herr Abgeordnete Burlage. 14

Burlage, Abgeordneter: Meine Damen und meine Herren! Der Herr Kollege Dr. Löwenstein hat den Erlaß des Bischofs von Osnabrück angeführt. Ich habe besonderen Grund, mich darauf einzulassen, weil der Sitz des Bischofs in meinem Wahlkreise liegt. Es wird hier gesagt: Es ist gut, auf der Kanzel vor dem Beziehen und dem Lesen sozialdemokratischer Blätter sowie vor dem Beitritt zu sozialdemokratischen Vereinen und so weiter zu warnen, weil beides Gelegenheiten mindestens zu religiösem Indifferentismus gäbe. Ein ähnlicher Erlaß ist seinerzeit bereits im Hauptausschuß von dem Herrn Abgeordneten Simon, einem Fraktionskollegen des Herrn Dr. Löwenstein, angeführt worden. Es war dies ein Erlaß des hochwürdigsten Bischof von Speyer. Es handelt sich um eine pastorale Instruktion, die es gegeben hat, solange es eine Kirche gibt.


14S. 3015A
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(Sehr wahr! im Zentrum. - Zuruf von den Sozialdemokraten: Und dann hat man die Ketzer verbrannt!)

- Ach Sie mit Ihrem Ketzerverbrennen! Sie könnten wissen, daß die römische Inquisition nur ein Urteil gegen einen Ketzer vollstreckt haben soll. Auch über diesen einzigen Fall streiten die Gelehrten noch. Wenn Sie aber etwa die spanische Inquisition meinen, dann sollten Sie wissen, daß das eine staatliche Einrichtung war und keine kirchliche.

(Sehr wahr! im Zentrum.)

Ich stelle die Behauptung auf, daß jeder Bischof, mag er in Deutschland oder in Holland, in Afrika oder wo sonst immer auf der Welt sein, das Recht hat, eine solche Anweisung herauszugeben.

(Zuruf von den Sozialdemokraten.)

- Nein., dabei ist gar keine List und Schlauheit! Ich will noch offener werden: Ich bin voll überzeugt, daß die Sozialdemokratie in ihrem Geiste religionsfeindlich ist, wenn Sie die Religion so verstehen, wie wir sie verstehen, als eine auf ein festes Dogma gegründete Glaubensüberzeugung.

(Zurufe von den Sozialdemokraten.)

- Wollen Sie doch das lieber nicht bestreiten! Ich könnte Ihnen eine Broschüre, die unser Generalsekretariat vor wenigen Wochen herausgegeben hat, auf den Tisch des Hauses legen mit sehr zahlreichen Aussprüchen: Es genügt aber wohl, wenn ich an den einen Ausspruch von Bebel erinnere, daß Religion und Sozialdemokratie

(Zurufe von den Sozialdemokraten.)

- oder Sozialismus - das kommt ja auf daßelbe hinaus, denn Bebel meint den Sozialismus der Sozialdemokratie - sich vertrügen wie Feuer und Wasser. Kautsky hat ganz ähnliche Aussprüche getan. Wie gesagt, es gibt hunderte solcher Aussprüche. Streiten wir uns also darum nicht. Steht aber die Religionsfeindlichkeit fest, und der hochwürdige Bischof von Osnabrück wird davon ebenso überzeugt gewesen sein, wie ich es bin, dann ist es nicht nur das Recht des Bischofs, nein, es ist seine heilige Pflicht, die Gläubigen seiner Diözese davor zu warnen, sich in die Gelegenheit zu geben, wo ihre Religion Gefahr läuft.

(Sehr gut! im Zentrum.)

Es ist hier vorher davon gesprochen worden, daß der schwarze Schatten des Dogmas auf die Kinderseele fiele.

(Zuruf rechts: Der Schatten des Kreuzes!)

- Ich habe verstanden: Des Dogmas!

(Wiederholte Zurufe rechts.)

- Gut, dann hätte also Herr Kollege D. Mumm recht gehabt. Es ist übrigens schließlich gleich. - Was ich betonen will, ist folgendes. Wir sehen in dem, was hier als schwarzer Schatten bezeichnet wird, das helle Licht, das das Leben erleuchtet und verklärt, das dem Kinde, wenn es durch das Leben hindurchschreitet, das größte Glück gewährleistet. Ich wiederhole: Wenn wir diese Auffassung haben, ist es die Pflicht des Bischofs, davor zu warnen, daß das höchste Gut, das die Gläubigen seiner Diözese besitzen, in Gefahr kommt. Der Erlaß weist mit allem Recht darauf hin, daß im Umgang mit überzeugten Sozialdemokraten mindestens die Verführung zum Indifferentismus liegt - das sollte man nicht leugnen!


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