1. Reichstag, Weimarer Republik


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Seite 58

A B

(Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Hätte ich gewußt, daß diese Debatte heute heraufbeschworen wurde, so würde ich Ihnen einmal einige Flugblätter des Teutsch-Bundes und einiger anderer Bünde vorlegen, in denen mit einer Kraßheit und einer Drastik sexuelle Vorwürfe erhoben werden, in denen gesagt wird: Die Juden vergewaltigen eure Ehefrauen - in der wüstesten Weise, wie ich sie hier nicht wiedergeben möchte - , die Juden sind Onanisten, und was alles sonst gesagt wird, in einer Abscheulichkeit, in einer Widerlichkeit, daß ich die Hoffnung habe, daß die Kreise, die mir nahestehen, von der Widerlichkeit so abgestoßen werden, daß daraus keine sittliche Gefahr für sie zu fürchten ist. Hier könnten Sie (nach rechts) positive Arbeit leisten. Und nun möchte ich Ihnen zeigen, wie wir diese sittliche Gefahr bekämpfen wollen. Sie ist einmal nur generell zu bekämpfen und wird erst dann aufhören, wenn an Stelle dieser kapitalistischen Raubordnung eine planvolle sozialistische Ordnung tritt, wenn der Ausgleich so erfolgt, daß nicht die Profite einem Menschen erlauben, selber ein solches Schlemmerleben zu führen und andere ins Sklavenjoch hineinzuzwingen und sie damit dem eigentlichen förderlichen Arbeitsgedanken zu entfremden.

(Lebhafter Beifall bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) 10

Vizepräsident Dr. Bell: Das Wort hat der Herr Abgeordnete
D. Mumm:

D. Mumm, Abgeordneter: 11 Meine Damen und Herren! Es ist für den Charakter des Deutschen Reiches nicht ohne Bedeutung, ob man die Teilnahme am Religionsunterricht als Regel oder als Ausnahme betrachtet.

(Sehr richtig! bei den Deutschnationalen.)

Es handelt sich hier um eine Frage von ganz erheblicher, grundsätzlicher und praktischer Bedeutung. Es ist darum auch in keiner Weise wundersam, daß diese Frage den Reichstag wieder und wieder beschäftigt, und daß sie auch die anderen Parlamente ich erinnere nur an das sächsische Parlament - auf das eingehendste beschäftigt hat. Es scheiden sich an dieser Frage die Geister.

(Sehr richtig! rechts und bei den Sozialdemokraten.)

Hier handelt es sich um grundsätzliche Fragen, die grundsätzlich durchgekämpft werden müssen. Meine Damen und Herren! Es handelt sich zum anderen um eine Frage von großer praktischer Bedeutung. Denn es ist neben der Schicht derer, die mit Entschiedenheit auf christlichem Boden stehen und neben der anderen Schicht derer, die ebenso entschieden auf entgegengesetztem Standpunkt stehen, eine Schicht solcher, die schwanken, zweifeln, durch Plötzlichkeiten des Alltags sich beeinflussen lassen. Weil wir eine Liebespflicht gegenüber allen in unserem Volke haben, darum halte ich dafür, daß wir auch Rücksicht zu nehmen haben auf diejenigen, die in dieser Beziehung schwanken.


10S. 2994A/B
11S. 2936A
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Was bedeuten jene Worte: Der Religionsunterricht ist ordentliches Lehrfach der Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien (weltlichen) Schulen? Das kann doch nur bedeuten, daß die Teilnahme am Religionsunterricht das Reguläre, die Nichtteilnahme am Religionsunterricht das Außerordentliche ist, das einer Erklärung bedarf.

(Sehr richtig! rechts.)

In der Reichsverfassung steht:
Die Erteilung religiösen Unterrichts und die Vornahme kirchlicher Verrichtung bleiben der Willenserklärung der Lehrer, die Teilnahme an religiösen Unterrichtsfächern und an kirchlichen Feiern und Handlungen der Willenserklärung desjenigen überlassen, der über die religiöse Erziehung des Kindes zu bestimmen hat.

Diese Erklärung, die nur im Zusammenhang mit der ersten Erklärung aufzufassen ist, kann nicht irgendwie darüber irre machen, das damals, in der Nationalversammlung, der Wille war: diejenigen, die vom Religionsunterricht befreit zu werden wünschen, können von ihm befreit werden. Nun gibt es aber noch ein interessantes Aktenstück über die Auffassung der äußersten Linken in jenen Tagen, um einen Antrag der Abgeordneter Frau Agnes, Brass und Dr. Cohn und Genossen. Dieser Antrag forderte folgendes:

Gegen den Willen des Erziehungsberechtigten darf kein Schüler zum Besuch des Religionsunterrichts oder zur Teilnahme an kirchlichen Feiern und Handlungen gezwungen werden.

Hier ist der Sinn klar und die Zeugin, die äußerste Linke, in meinem Sinn unverdächtig. Die äußerste Linke begehrte damals nichts anderes, als daß der Zwang beseitigt würde, das heißt, sie forderte die negative Erklärung, die zur Konsequenz hat, daß Kinder nicht erst vom Religionsunterricht abgemeldet, sondern erst gar nicht angemeldet werden müssen. Nun haben wir morgen namentlich abzustimmen über eine von uns beantragte Entschließung über die positive und negative Erklärung über Teilnahme am Religionsunterricht. 12 Meine Damen und Herren! .Es ist hier gesagt worden, es sei Herr Dr. Löwenstein von deutschnationaler Seite aus verhindert worden, hier in Berlin zu diesem Thema zu sprechen. Ich habe inzwischen mit einem meiner Berliner Kollegen darüber gesprochen; ihm war davon nichts bekannt. Der Umstand, daß die überwältigende Mehrheit der Eltern, der Erziehungsberechtigten Berlins, auch heute noch den Religionsunterricht will, der Herr Abgeordnete Dr. Löwenstein diesen Religionsunterricht aber bekämpft, mußte Veranlassung zu dieser unserer gegnerischen Stellung sein, und ich darf wohl auch daran erinnern, daß die Nichtbestätigung Herrn Dr. Löwensteins als Schulrat ausgegangen ist von einem mehrheitssozialdemokratischen Kulturminister. 13 Herr Dr. Löwenstein hat heute die Entschließung seiner Fraktion begründet; ihr Kernsatz lautet: "Dementsprechend ist im allgemeinen kein Religionsunterricht an den Schulen zu erteilen." Ich


12S. 3013D
13S. 3014A

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