1. Reichstag, Weimarer Republik


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wie man mit einem Male den Ausländern die Tore öffnete,

(lebhafte Zustimmung bei den Deutschnationalen)

denselben Ausländern, die noch kurz zuvor die Vernichtung Deutschlands gepredigt hatten. Da wurden Stücke von Chaw aufgeführt, desselben Mannes, der noch zu Beginn des Krieges erklärt hatte - -

(Unruhe und lebhafte Zurufe bei den Vereinigten Kommunisten)

- Es ist mir ja sehr verständlich, daß Ihnen diese Ausführungen peinlich sind - -

(Erneute Unruhe und Zurufe bei den Vereinigten Kommunisten. - Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident Dr. Bell: Das Wort hat nur der Herr Abgeordnete Wulle!

Wulle, Abgeordneter: Meine Damen und Herren! Derselbe Chaw, der zu Beginn des Krieges erklärt hatte: man muß das deutsche Volk entwaffnen, das heißt besiegen können, feierte bei unseren Bühnen seine Auferstehung, und so zogen die gesamten Ausländer bei uns ein, und die deutsche Dichtkunst wurde zum Aschenbrödel gemacht. Sie brauchen sich nur einmal so eine kleine Blütenlese anzusehen, Stücke wie "Albine und Aujust", "Schloß Wetterstein", "Evchen Humbrecht", "Die unberührte Frau", "Reigen", alles Stücke, die Tag für Tag aufgeführt werden. Wenn zum Beispiel am Weihnachtstag ein derartiger Schmarren aufgeführt wird wie "Sternheims Hose", wo geschildert wird, wie eine junge Frau unterwegs ihre Hose verliert und wo die gemeinsten zynischen Bemerkungen gemacht werden, wenn Sie weiter lesen, wie in anderen Stücken, zum Beispiel "Albine und Aujust", in der zynischsten Weise das religiöse Empfinden verletzt wird, --

(Zurufe von den Vereinigten Kommunisten. - Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident Dr. Bell: Ich bitte, doch nicht ständig Zwischenrufe zu machen!

Wulle, Abgeordneter: Meine Damen und Herren! So wie das Theater ist, sind selbstverständlich auch sämtliche andere Schaustellungen. Das Tollste, was wohl geleistet worden ist, waren die "Haremsnächte" im Apollotheater, - eine Schande, die zum Himmel schrie. Es ist mir völlig unverständlich, daß in dieser Vorstellung Minister gewesen sind - nicht daß sie drin gewesen sind, sondern daß sie nun nicht dafür gesorgt haben, daß, nachdem sie diese Schweinerei dort gesehen haben, das Stück verboten worden ist.

(Sehr richtig! bei den Deutschnationalen.)

Im Gegenteil, das Stück ist daraufhin noch um vier Wochen verlängert worden,

(hört! hört! rechts)

ein Stück, in dem zwei Dutzend nackte Frauen vor einem Schwarzen den Kotau machen müssen.

(Hört! Hört! rechts.)

Meine verehrten Damen und Herren, das eine möchte ich doch sagen: wir reden über die schwarze Schmach im Rheingebiet, und mit Recht reden wir darüber; wir sollten aber auch von der Regierung


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verlangen, daß sie die schwarze Schmach bekämpft, die sich hier im Apollotheater abspielt, wo dem deutschen Volk jedes Bewußtsein für Rassestolz

(Lachen bei den Vereinigten Kommunisten)

und jedes Bewußtsein für Ehre allmählich genommen wird.

(Lebhafte Zustimmung rechts.)

Meine Damen und Herren! Wir wollen wieder anständig werden, auch hier in Berlin, damit der Ruf von diesem Sündenbabel, der in ganz Deutschland verbreitet ist und der uns den Haß der sämtlichen deutschen Stämme einbringt nicht mehr zu Recht besteht. Ich wiederhole, meine Damen und Herren, wir wollen wieder anständig werden und fordern die Regierung und sämtliche Parteien auf, an diesem Werke mitzuarbeiten.

(Lebhafter Beifall bei den Deutschnationalen. - Fortgesetzte Zurufe von den Unabhängigen Sozialdemokraten und den Vereinigten Kommunisten.) 8

Vizepräsident Dr. Bell: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Löwenstein. 9

Dr. Löwenstein, Abgeordneter: Es tut mir leid, daß Herr Kollege Wulle nach seiner Kapuzinerrede den Saal verlassen hat. Ich wollte ihm nämlich mein Erstaunen zum Ausdruck bringen, daß es seinem Scharfsinn entgangen ist, das ausgerechnet gerade die Vorstellung des "Reigen" während der landwirtschaftlichen Woche ständig in der "Deutschen Tageszeitung" annonciert worden ist

(hört! hört! links)

und in Fettdruck dazugesetzt war, daß der Platz 100 Mark kostet.

(Hört! Hört! links.)

Wenn er also das Reinigungsbedürfnis in der Weise befriedigen will, wie er es hier ausgesprochen hat, dann möge er zuerst vor der eigenen, ihm am nächsten liegenden Tür anfangen. Meine Damen und Herren! Ich spreche mit großem innerlichem Abscheu, nicht in pharisäerischem Hochmut aus, daß es doch eigentlich eine unleugbare Tatsache ist, daß überall dort, wo der Kapitalismus zu seiner Blüte gekommen ist, ein solches Schlemmerleben und eine solche furchtbare Zersetzung festzustellen ist, wie etwa in Berlin W.

(Zurufe.)

- Ob es Juden oder andere sind, ist dabei ganz gleichgültig. Ich will auch nicht sagen, daß es nur die Deutschnationalen sind, es sind gewiß auch anderswo welche. Aber, meine Damen und Herren (nach rechts) - und das gilt wiederum für Herrn Wulle - ich würde Sie doch bitten, wenn Sie wirklich so dem sittlichen Verfall entgegenwirken wollen, daß Sie auch in ihren Flugblättern, die aus Ihren Kreisen kommen, in ihrem antisemitischen Haß nicht soweit gehen, eine Schmutz- und Schundliteratur auch in sexueller Hinsicht zu schaffen, die wirklich das schreiendste ist, was es überhaupt gibt.


8S. 2992C
9S. 2994

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