1. Reichstag, Weimarer Republik


Zurück zur Titelseite oder Zurück zur Homepage


Seite 307

A B

Regierung schon darauf hingewiesen ist, daß es, wenn es auch Amnestien geben könne, für Sabotageakte und Gewalttaten keine Amnestie geben würde. Deshalb ist das Vorkommen solcher Sabotageakte auch geeignet, Schwierigkeiten zu machen, sobald es zur Lösung des Ruhrkonfliktes kommt. An diese Lösung des Ruhrkonfliktes haben wir stets zu denken. Denn ihr Tag muß kommen. Wir müssen in unserem Volk alles vorbereiten, um uns die Lösung des Ruhrkonflikts zu erleichtern. Nur das kann der Leitstern einer verantwortungsbewussten deutschen Regierung sein.

(Sehr richtig! bei den Vereinigten Sozialdemokraten.)

Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Stresemann.9

Dr. Stresemann, Abgeordneter: Meine Damen und Herren! Die französische Presse spricht in letzter Zeit häufig von dem Zusammenbruch Deutschlands. Es liegt an uns, ob dieser Wunsch und diese Hoffnung Wahrheit wird.

Meine Herren,10 die eine Seite des Ruhrproblems ist diese Frage der Reparation. Wären in Frankreich die Kräfte, die sich danach sehnten, so hätten sie wohl längst Veranlassung gehabt, dafür zu sorgen, mit uns über die Lösung dieser Frage verhandeln zu können. Ob aber diejenigen, die Deutschlands Untergang wollen, sich nicht doch allmählich mehr und mehr darüber klar werden, daß sie ein schlechtes Geschäft machen, politisch und wirtschaftlich? Vom Wirtschaftlichen ein Wort! Vor mir liegt der Brief des Inhabers einer der größten englischen Firmen. Der schreibt über den Ruhrkampf am 26. Juli, also etwa in unserer Zeit:

Jetzt ist es 6 Monate her, seit die Ruhr besetzt ist. Die, die zuerst laut applaudierten, werden heute wohl zugeben, daß es ein Fehlschlag war. Das stärkste Industriegebiet der Erde ist in äußerste Verwirrung gestürzt, die Eisenbahnen sind desorganisiert. Frankreich hat hunderte von Millionen von Franken ausgegeben, hat buchstäblich Millionen harmloser Menschen gepeinigt, hat 80 000 unschuldige Beamte mit Weib und Kind von Haus und Hof vertrieben. Damit werden Haß in der Zukunft erweckt. Der Effekt in England sind 1¼ Millionen Arbeitslose, die der britische Steuerzahler erhalten muß, der schon überlastet ist. Es kann nichts gutes dabei herauskommen, wenn wir unserem Verbündeten erlauben, zu vergessen oder die Tatsache zu übersehen, daß die ganze Welt 4 Jahre gebraucht hat, um Deutschland klein zu kriegen. 4 Monate hätten zur Vernichtung unserer beiden Länder genügt, hätten wir allein gestanden. Wenn wir recht unterrichtet sind,
- schreibt derselbe Großindustrielle weiter -
sucht Frankreich nicht Reparationen, sondern die Zerstörung Deutschlands durch Loslösung des Rheinlandes, wobei es vergisst, daß es doch

9 S.11771D
10 S. 11774D

vorige

damit gerade diese seine eigene Sicherheit in Zukunft bedroht erhalten hat.

(Lebhafte Zustimmung.)

Frankreich behauptet zwar das Gegenteil. Aber Völker wie Menschen werden beurteilt nach ihren Taten, und es ist nicht einzusehen, daß alle Bankleute, Wirtschaftler, Geschäftsleute und Staatsmänner auf der Welt außer denen von Frankreich sich in Bezug auf ihre Meinungen über Deutschlands Zahlungsfähigkeit irren sollten.

Ich glaube, daß dieser Brief eines englischen Industriellen das wiedergibt, was sehr viele in England, weit mehr als die, die sich im Parlament dazu bekennen, meinen, daß es nur die Rücksichten sind, die ich vorhin erwähnte, die sie veranlassen, diese Gedanken nicht weit stärker zum Ausdruck zu bringen. Aber mir war es interessant, aus diesem Briefe zu ersehen, wie sehr doch gerade hier der Gedanke zum Ausdruck kommt, daß die französische Sicherheit, ich möchte sagen, der Friede Europas, durch nichts mehr bedroht wird als durch eine Politik die darauf ausgeht, das Rheinland von Deutschland zu trennen.

(Sehr richtig!)

Ich habe mit großer Offenheit in meiner Rede in Einzelheiten und heute über die Möglichkeit einer deutsch-französischen Verständigung, auch eines deutsch-französischen wirtschaftlichen Zusammearbeitens gesprochen, einer Offenheit, die mir zum Teil unerhörte Angriffe eingetragen hat, die ich nicht verstehe, gerade vom nationalen Standpunkt aus nicht. Wenn es einen Staatsmann und Politiker gäbe, der uns die Verständigung bringen könnte, die das Rheinland und Ruhrland von den Qualen erlöst, wäre er ja ein Verbrecher, wenn er nicht die Hand ergriffe, die Verständigung herbeizuführen. Ich wüsste nicht, was es für ein nationaleres Werk gäbe, wenn das gelänge.

(Sehr richtig!)

Ich habe mich über das gefreut, was der Herr Reichskanzler gestern betonte, daß er sich dagegen wandte, diesen Gedanken als solchen zu bekämpfen. Wenn ich mich für die Notwendigkeit einer solchen Verständigung ausgesprochen habe, so füge ich dem aber auch das eine hinzu, daß man dort offen den Machthabern in Paris sagen sollte: Hütet Euch, eine Politik zu treiben, die vielleicht bei unserer Machtlosigkeit Euch für kurze Zeit in die Möglichkeit setzen könnte, Rhein und Ruhr von uns losreißen zu können. Wir können uns nicht dagegen wehren, wir sind an deutscher Macht heruntergekommen; aber so weit sind wir an deutscher Seele nicht heruntergekommen, daß wir uns jemals den Raub des Rheinlandes gefallen lassen würden.

(Stürmisches Bravo.)

Wer den Frieden Europas will, wer nicht will, daß eine Drachensaat gesät wird, die einmal aufgeht, der möge denen in Frankreich ins Gewissen reden, die eine solche Politik treiben, die dazu führen muß, daß dieses aus allen Wunden blutende Europa statt der Jahrzehnte des Friedens nur die anarchistischen Folgen auf sich nehmen muß, die eine Zertrümmerung Deutschlands mit sich bringen würde, die es naturnotwendig mit sich bringen muß.

(Sehr richtig!)


9S.11265A

nächste