1. Reichstag, Weimarer Republik


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gerade weil wir das staatliche Gefüge unserer Republik gegen jeden Angriff sichern wollen, deswegen haben wir uns mit aller Energie stets dagegen gewandt, daß die rechtsradikalen Organisationen irgendwelche Förderungen erfahren.

(Zurufe rechts.)

Aber erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang noch eine Bemerkung, die mir in der gegenwärtigen Situation wichtig zu sein scheint. Es muß doch einmal die Frage aufgeworfen werden, welches denn eigentlich die Geldgeber dieser Organisationen sind.

(Sehr gut links. - Zurufe rechts.)

Wir wissen, daß zu Beginn dieses Jahres diese Organisationen sehr unter Geldschwund litten. Nachdem aber der Ruhreinbruch erfolgt war, floß ihnen Geld wieder in verstärktem Maße zu. Und ich frage: wo kommt das Geld her?

(Sehr richtig! links.)

Ist es nicht ein Skandal sondergleichen, wenn unsere karitativen Organisationen nicht wissen, wenn Krankenhäuser geschlossen werden müssen, wenn Notgemeinschaft von Kunst und Wissenschaft betteln gehen müssen, während diese rechtsradikalen Organisationen von Industrie und Landwirtschaft Geld, soviel sie brauchen, bekommen, um ihr gemeingefährliches Treiben fortsetzen zu können?

(Sehr wahr! links. - Zurufe rechts.)

Wo sollen sie es sonst herbekommen - das möchte ich wissen -, wenn sie es nicht von potenten Kreisen bekommen, die nicht genügend zur Steuer herangezogen worden sind? Es ist auch ganz selbstverständlich, daß diejenigen Kreise, die das deutsche Volk in einen Krieg mit Frankreich hineintreiben wollen, diejenigen Organisationen finanziell fundieren müssen, die ein solches Treiben sich zuschulden kommen lassen. Ich mache darauf aufmerksam, daß vor einiger Zeit auch in bürgerlichen Blättern Meldungen vorhanden waren, nach denen zum Beispiel in dem amtlichen "Organ des Reichslandbundes für die Provinzen Brandenburg und Pommern, Amtsblatt der Landwirtschaftskammer für Brandenburg Berlin", ein Hetzartikel gestanden hat, in dem auseinandergesetzt wurde, daß den Deutschen nichts anderes übrig bleibe, als entweder Kuliarbeit zu leisten oder aber, wie es weiter hieß:

Das deutsche Volk wird sich dazu entschließen müssen, waffenlos, wie es ist, gegen eine gewaltige, mit allen neuzeitlichen Mitteln ausgerüstete Truppenmacht seinen Freiheits-kampf zu führen. Was von seinen Männern und Knaben Beil und Spaten führen kann, wird Blut und Leben an die Ehre der Nation setzen müssen. Das deutsche Volk hat diese und keine andere Wahl.

(Rufe rechts: Leider wahr!)

- das ist nicht wahr! Es gibt noch eine dritte Wahl, nämlich, daß die Besitzenden endlich zahlen.

(Stürmische Zustimmung links. - Aha!" und Zurufe rechts.)

- Ich komme darauf im einzelnen noch zurück, Herr Abgeordneter Schiele! Es kommt aber nicht allein auf solche Äußerungen von großen Organisationen an, sondern es kommt auch dazu, daß eine gewisse Presse in geradezu irrsinniger Weise


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tagtäglich gegen Frankreich hetzt. Ich brauche nur an den Pfarrer Maurenbrecher und seine "Deutsche Zeitung" zu erinnern, der sich immer wieder darüber beschwert, daß noch kein Tell und kein York entstanden sind, und wahrscheinlich nächstens im Inseratenteil des "Lokalanzeigers" einen suchen, weil er ihn durch seine eigene Zeitung noch nicht gefunden hat. Aber was kann sich diese Presse leisten? Vorgestern brachte die "Deutsche Zeitung" folgende Zeilen:

Mittwoch Reichskanzlerrede. Reden, Reden, Reden! Das deutsche Volk erwartet von seinem Kanzler, daß diese Rede eine Tat ist. Sonst ist Schweigen am Platze. Was eine Tat ist, möge sich Dr. Cuno von dem Mechaniker Rabe in Düsseldorf sagen lassen.

(Stürmische Rufe links: Hört! Hört!)

Auge um Auge, Zahn um Zahn! Eine andere Parole gibt es nicht mehr.

(Erneute Rufe: Hört! Hört!)

Herr Rabe ist bekanntlich der, der die Handgranate neulich in Düsseldorf unter die Bevölkerung geworfen hat. Die Folge davon ist, daß von neuem acht Tage lang die Sperre über das gesamte besetzte Gebiet verhängt worden ist. Aber wenn die Bevölkerung durch weitere acht Tage aufs schwerste zu leiden hat, das ist ja den nationalistischen Maulhelden ganz egal. Die haben nicht darunter zu leiden. Mögen die anderen ruhig leiden, und wenn die Bevölkerung noch so sehr zermürbt werden soll! Ich meine, über die Stimmung der Bevölkerung ist auch die Reichsregierung unterrichtet; denn es ist eine Deputation aus fast allen Parteien beim Reichskanzler gewesen und hat ihm auseinandergesetzt, wie es wirken muß, wenn von neuem wegen solcher Vorgänge die Sperre verhängt werden soll.

(Zuruf von den Vereinigten Sozialdemokraten: Auch rechtsgerichtete Kreise waren dabei!)

Ich sage:7 Die Dinge liegen so, daß heute noch beinahe alle paar Tage solche Sabotageakte vorkommen. Wie wir zu Sabotageakten stehen, daß habe ich in der Erklärung, die ich am vorletzten Tage, der letzten Tagung, hier abgegeben habe, deutlich zum Ausdruck gebracht. Aber ich stelle doch noch eine andere Frage in diesem Zusammenhang. Ich habe eben auf einen Prozeß Bezug genommen, der vor dem Aachener Gericht stattgefunden hat. In diesem Prozeß haben eine ganze Anzahl der jugendlichen Angeklagten vor den ausländischen Richtern ausgesagt, daß sie das Dynamit, das sie verwendet haben, in der Reichswehrkaserne zu Münster bekommen haben.

(Hört! Hört! bei den Vereinigten Sozialdemokraten.)

Solange solche Verhältnisse bestehen,8 solange ist es kein Wunder, wenn sich immer und immer wieder Sabotageakte und Gewalttaten ereignen. Wir dürfen aber vor allen Dingen eines nicht vergessen: Es handelt sich hier nicht nur um augenblickliche Schäden, die die Ruhrbevölkerung auszubaden hat, sondern auch um die politische Weiterwirkung. Wir wissen aus den Veröffentlichungen des belgischen Graubuches, daß in den Verhandlungen der belgischen und englischen


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