1. Reichstag, Weimarer Republik


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weise darauf hin, daß alle diese bewaffneten Führer, diese Leutnants, diese Studenten, diese Schüler usw. Leute sind, die an den Brüsten der bürgerlichen Wissenschaft gelegen haben, die durch besonders eingestellte, natürlich antisemitisch und feudal gesinnte monarchistische Oberlehrer unterrichtet worden sind. Wollen Sie bestreiten, daß schon in den Schulen dieser Geist in die Jugend gelegt worden ist, der nun in diesem Haß gegen die Arbeiter, gegen die Juden und gegen die Republik zum Ausdruck kommt? Wir hören nichts davon, was dem Hitler geschieht15,

(sehr richtig! links.)

diesem Menschen, der in seinen Zeitungen und Reden jedes Mal mit Blut und Mord nur so um sich wirft, der wer weiß wie viel Juden zum Frühstück verspeisen will, der alle seine politischen Gegner, wenn er es nicht anders machen kann, gewalttätig aus der Welt schaffen möchte - durch seine Reden kann er es ja nicht - , der ihnen nach dem Leben trachtet, der droht wenn er nur die Gewalt mit seinen Freunden bekäme, werde er demgemäß verfahren. Der Mann darf frei in Bayern herumlaufen! Der "Völkische Beobachter" schrieb nach dem 1. Mai:

Die Vaterländischen Kampfverbände standen die Nacht über auf Oberwiesenfeld und anderen Orts bis Mittag des 1. Mai in fertiger Kampfbereitschaft. Tausende von entschlosse-nen deutschen Männern lagerten da draußen, um für den vorbereiteten und angesagten Kampftag der Marxisten bereit zu sein.

Ich kann mir vorstellen, wie den Herren Graefe, Wulle, Henning und ähnlichen Geistern das Herz im Leibe gelacht hat, wenn sie derartige Dinge lesen. Ich kann mir auch vorstellen, daß es einen ziemlich großen Teil unserer Bevölkerung gibt, der in solcher geistigen Verwirrung lebt, daß er eine Freude an solchem Treiben hat. Ich kann mein Urteil16 über diese ganzen Nationalsozialisten, wie sie hier im Reichstag sitzen und wie sie in Bayern und in anderen Teilen Deutschlands tätig sind, kurz zusammenfassen: Die Nationalsozialisten stellen dar ein Sumpfgewächs eines gesellschaftlichen Sumpfes, der sich unter dem im November 1918 zusammengebrochenem Staats- und Herrschaftsregime gebildet hat. Ein Sumpfgewächs stellen diese Organisationen dar in einem Sumpfe. Wie er sich nur im Boden einer kapitalistischen Gesellschaft bilden konnte. Die juden- und marxismusfeindlichen Elemente sind eine Schande der so genannten bürgerlichen Bildung, sowie sie in den höheren Lehranstalten von den dazu gedrillten Oberlehrern verzapft wird. Die führenden Köpfe der Deutschvölkischen und Hitlerianer rekrutieren sich aus denselben Schichten von Besitz und Bildung, denen von jeher die "zahlungsfähige Moral" kapitalistischer Ausbeuter und Unterdrücker maßgebend für ihr Handeln gewesen ist.

(Glocke des Präsidenten.)


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Präsident: Herr Abgeordneter Henke, Ihre Redezeit ist abgelaufen!

Henke, Abgeordneter: Ich bin gleich fertig, Herr Präsident. - Ihre Wut über die Niederlage, die bedrängte soziale Lage vieler Offiziere und die Notlage der Gebildeten, die der Ausgang des Krieges verursacht hat, die anerzogene Oberflächlichkeit der Beurteilung politischer und mehr noch ökonomischer Probleme, die Verrohung durch den Krieg, die nur eine Weiterentwicklung der Rohheiten war, wie sie sich in Friedenszeiten unter der so genannten gebildeten Jugend breit machte, alle diese und ähnliche Momente mehr, vor allem aber das Geld der Schwerindustrie bewirkten das Zustandekommen der deutschvölkischen Bewegung und die mordlustige Pogromstimmung gegen die Juden und Marxisten.

(Sehr wahr! links.)

Ich behaupte; meine Damen und Herren17 , daß die bürgerlichen Parteien in ihrer Gesamtheit kein zuverlässiger Schutz der Republik sind und keine zuverlässige Wehr gegen die Faszisten, und zwar weil sie genau so national sind wie die Faszistenbanden, zweitens aber zum großen Teil genau so monarchistisch eingestellt sind wie jene. Drittens teilen sie mit den Faszisten die Verehrung für den Militarismus, sie sind auch genau so imperialistisch eingestellt wie diese.

(Glocke des Präsidenten.)

Präsident: Herr Abgeordneter Henke, ich muß Sie bitten, zum Schluß zu kommen. Sie haben die Redezeit schon um fünf Minuten überschritten.

Henke, Abgeordneter: Herr Präsident. Am Sonnabend hat ein anderer Redner seine Redezeit um eine Viertelstunde überschreiten dürfen. Ich will nun im allgemeinen das schlechte Beispiel gewiß nicht befolgen; aber heute muß ich es tun und bitte, mir noch wenige Minuten zu verstatten. Entscheidend wird letzten Endes der Erfolg oder Nichterfolg der Fashisten sein18. Wenn die Faszisten in Deutschland einen Erfolg haben würden, dann würde die deutsche Bourgeoisie vor ihnen genau so auf dem Bauche liegen wie die italienische vor Herrn Mussolini.

(Sehr wahr! bei den Vereinigten Sozialdemokraten.)

Darum ist es an der Zeit, dieser großen Gefahr mit größter Energie zu begegnen. Sehen Sie aber nur ein mal die rechtsstehende bürgerliche Presse daraufhin an, wie sie sich zu der Rede, die der Kollege Scheidemann am Sonnabend hier gehalten hat, verhält, wie wenig sie von dieser Rede abdruckt, um ihre Leser über die gewalttätige Gefahr, die hier entstanden ist, zu orientieren. Sage ich da zuviel, wenn ich behaupte: nur auf die Arbeiter ist Verlaß? Der Menschheit Würde, die Zukunft des deutschen Volkes und der deutschen Republik, die Zukunft aller Kultur ist in ihre Hand gegeben.

(Lebhafter Beifall bei den Vereinigten Sozialdemokraten.)


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18S.11056A