1. Reichstag, Weimarer Republik


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Seite 296

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Fürchtet euch nicht vor dem Schlagwort: "keinen Gewaltantisemitismus"; denn die Juden können heute nur noch durch Gewalt beseitigt werden. Die Juden sind unser Untergang, die Juden sind Verbrecher und müssen als Verbrecher behandelt werden.
(Zuruf bei den Vereinigten Sozialdemokraten: Und die Töchter heiratet man!)

Wer die Herren um v. Graefe und seine Freunde beobachtet und gehört hat, der ist überzeugt: genau denselben Geist haben sie auch,

(sehr richtig! bei den Vereinigten Sozialdemokraten)

- oder Ungeist, besser gesagt.
Macht ganze Arbeit!
- schreibt so ein Judenfeind, ein Mann namens Heinrich Pudor aus Leipzig -
macht ganze Arbeit! Bestien reizt man nicht, man tötet sie.

(Hört! Hört! bei den Vereinigten Sozialdemokraten und bei den Kommunisten.)

Von diesem Judenfeind ist selbst die "Kreuzzeitung" neuerdings abgerückt, woraus man entnehmen kann, warum die Deutschnationale Partei von den Herren Wulle, Henning und v. Graefe abgerückt ist. Auf einer Postkarte dieser Judenfeinde wird in Gedichtform aufgefordert, "alle Judenbrüder wie tolle Hunde niederzuknallen". Und so geht es weiter. Ja, meine Damen und Herren, daß ist wüster Antisemitismus. Aber das ist nicht etwa besonders ausgesucht, was ich Ihnen hier vorgetragen habe, solche Proben könnte man massenhaft bringen, und sie beweisen doch immer wieder: hier haben wir es mit ungeheuer tiefstehenden Menschen zu tun.

(Sehr richtig! bei den Vereinigten Sozialdemokraten.)

Da will ich es mir doch nicht versagen, Ihnen hier noch eins mitzuteilen, was mir zufällig in die Hände geraten ist. Herr Henning hat vor einiger Zeit irgendwo die Behauptung ausgesprochen: Die Schuld an Poincarés Ruhreinbruch tragen die Juden. Das sieht ihm ganz ähnlich. Darauf hat das "Israelische Familienblatt" sich an einen Generalmajor, allerdings einen Generalmajor, der zu gleicher Zeit Demokrat ist, einen Herrn Dr. v. Schönaich zwecks einer Gegenäußerung gewandt, und dieser hat geantwortet. Ich will nur einen Teil von dem, was er geantwortet hat, hier zur Kenntnis geben. Er meint:

Ich bin daher im Zweifel, ob eine ernsthafte Entgegnung nicht zu viel Ehre für diese Leute ist. Die Judenhetze ist ein uraltes Inventarstück des dunkelsten Gerümpels politischer Kampfmittel. Als Torquemeda zur ewigen Schande der christlichen Kirche die Inquisition schuf, waren die Juden, die durch Fleiß und Tüchtigkeit zu Wohlstand gekommen waren, seine ersten Opfer. Ihr Geld und Gut wanderte teils in die Taschen der Kirche, teils in die des Königs, natürlich nur zur höheren Ehre Gottes. Bei allen Judenhetzen lassen sich leicht ähnlich gemeinte Motive feststellen.
Als am 8. November 1918

- es ist nun besonders interessant, was der Herr General weiter mitteilt -


8S.11001B
9S.11004A
10S.11005C

vorige

im Großen Hauptquartier in Spa das grinsende Gespenst der Revolution die Rechnung präsentierte, schlug ein geschichtskundiger General vor, der Kaiser solle mit einigen zuverlässigen Divisionen mit der Parole "Nieder mit den Juden" in die Heimat marschieren und die Revolution niederschlagen.

(Hört! Hört! links.)

Da kann man sich vorstellen, wie begeistert die Herren Wulle, Graefe und Henning für diesen Kaiser sein müssen, dem man so etwas zugetraut hat. Dann sagt Herr v. Schönaich:

Die Taten der Henning und Genossen sind nur zu verstehen, wenn man bedenkt, daß das deutsche Volk durch die Leiden der letzten acht Jahre physisch und sittlich schwer erkrankt ist.... Die Führer des heutigen Antisemitismus lassen sich in drei Gruppen teilen:
1. diejenigen, die durch die Judenhetze die Blicke ablenken wollen von ihren eigenen Fehlern;

- wir dürfen also erwarten, daß die Herren Graefe, Henning und Wulle in der nächsten Zeit ganz besonders auf die Juden schimpfen werden; denn sie haben viel zu verbergen -

2. diejenigen, die glauben, damit Geschäfte machen zu können;
3. ehrlich überzeugte Rassenfanatiker, die einen Wiederaufstieg des Volkes durch Züchtung reiner Linien zu erreichen hoffen.
Die beiden ersten Gruppen werden, wenn nicht alles täuscht, an ihrer eigenen sittlichen Verderbtheit bald zugrunde gehen. Rückt doch sogar die ganz deutschvölkisch eingestellte "Kreuzzeitung" von dem berüchtigten Dr. Heinrich Pudor in aller Öffentlichkeit ab. Halbwegs einsichtige Antisemiten haben längst eingesehen, daß sie ihrer Sache durch so plumpe Fälschungen wie die der "Geheimnisse der Weisen von Zion" nur schaden....

Ob Herr Henning zur ersten, zweiten oder dritten Gruppe gehört, könnte nur ein erfahrener Nervenarzt feststellen. Vorläufig halte ich es für das beste, ihn und seine Freunde in ihrem eigenen Fette schmoren zu lassen, bis sie gar sind.

(Zurufe von den Vereinigten Sozialdemokraten: Herr Henning, zu welcher Gruppe? - Gegenrufe des Abgeordneten Henning.)

- Herr Henning, damit Sie genau wissen, warum es sich handelt, darf ich Ihnen das Blatt überreichen. Es wird Sie ganz besonders interessieren.- Meine Herren! Dieser Antisemitismus ist ein Teil der Weltanschauung aller Faszisten Deutschlands, es ist sicher, daß die deutschnationalistischen Parteien, die nationalistischen Banden in Bayern und die anderen Organisationen, die mit ihnen am gleichen Strange ziehen, samt und sonders Antisemiten sind. Nun stellen Sie sich vor, diese Leute sind in Bayern so stark, daß sie am 1. Mai ein ganzes Heer in Oberwiesenfeld haben aufmarschieren lassen. Am 1. Mai wollten sie die


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