1. Reichstag, Weimarer Republik


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Seite 295

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(Zuruf von den Vereinigten Sozialdemokraten: Man hätte sie hinausschmeißen sollen! - Zuruf von den Kommunisten: Das ist deutlich in deren Sprache!)

Das heißt also, man hat mit dem Herrn Reichskanzler über diese Dinge gesprochen wie über viele andere Dinge. Er hat zugehört, er hat eine Antwort darauf voraussichtlich nicht gegeben.

(Zuruf von den Vereinigten Sozialdemokraten: Das ist sehr bedauerlich! - Anhaltende Unruhe links.)

Er hat kühl und interesselos den angehörten Herrn auf den Ernst der inneren Lage hingewiesen und abgeredet von allen Bestrebungen,

(Widerspruch bei den Kommunisten)

welche geeignet sind, Unruhe hervorzurufen. Herr General v. Seeckt erklärt seinerseits, daß er Herrn Rossbach nie empfangen habe, also mit ihm eine Unterredung nicht gehabt haben kann. Meine Damen und Herren! Das ist das, was mir über diese Vorgänge bekanntgeworden ist, die Herr v. Graefe hier in einer so dramatischen Aufführung dargelegt hat.

(Abgeordneter Scheidemann: Sagen wir: "theatralisch"!)

Ich möchte Sie bitten, sich daraus ein Urteil zu bilden. Es ist immer so: wenn die Deutschvölkische Freiheitspartei dessen oder jenes beschuldigt wird, dann erklären die Herren das Gegenteil und nehmen damit an, daß nun die Sache erledigt ist. Es ist hier wiederholt zum Ausdruck gebracht worden11, als ob die Reichsregierung diesen Dingen tatenlos zugesehen hat. Das ist nicht der Fall. Wie liegen denn die Dinge? Als das gegenwärtige Kabinett seine Arbeit antrat, waren die Zustände in Deutschland an und für sich bedenklich und das Geraune über einen Bürgerkrieg, der da oder dort ausbrechen könne, ein ziemlich allgemeines; es herrschte ein Mißtrauen zwischen Nord und Süd, zwischen rechts und links, ein gegenseitiges Rüsten: weil der andere rüstet, muß ich auch rüsten. Ich glaube, es wäre eine Kleinigkeit gewesen, in einer solchen Lage zu den schweren außenpolitischen Sorgen, die uns drücken, innerpolitische Konflikte noch hinzuzufügen. Dazu hätte es keiner Staatskunst bedurft.

Vizepräsident Dittmann: Das Wort hat nunmehr der Herr Abgeordnete Henke.12

Henke, Abgeordneter: Was Herr v. Graefe heute hier gesagt hat13 , ist ein Beweis dafür, daß er mit dem Verhalten der bürgerlichen Parteien sehr unzufrieden war. Er hat in einer Weise gesprochen, die ihn geistesverwandt erscheinen lässt mit seinem politischen Freund Herrn Hitler in Süddeutschland, der gelegentlich mal im "Völkischen Beobachter" am 27. März schrieb:

Ich habe niemals die republikanisch-demokratische Staatsform bekämpft, da ich das heutige Deutsche Reich weder für eine Demokratie noch für eine Republik, sondern für einen marxistisch-jüdischen internationalen Saustall ansehe.

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Die Herren v. Graefe, Wulle und Henning haben einen Freundschaftsbund mit Herrn Hitler geschlossen, sie haben genau die gleichen politischen Auffassungen, wie er sie hat, und insbesondere die gleiche Auffassung vom Parlament. Herr Henning hat sich am Sonnabend mit aller Offenheit und mit einem gewissen Stolz für seine Parteifreunde zum Antisemitismus bekannt14 . Meine Herren, Art läßt nicht von Art. Die Mutter der Deutschvölkischen Freiheitspartei war die Deutschnationale Volkspartei. Die Deutschnationalen gingen aus der Konservativen Partei hervor. Wer die Geschichte der deutschen Konservativen Partei kennt, der weiß, von ihrer Geburt an war sie antisemitisch bis auf die Knochen.

(Sehr richtig! bei den Vereinigten Sozialdemokraten. - Zustimmung bei den Deutschnationalen.)

Die einfachste Erklärung für diesen Antisemitismus ist immer die gewesen, daß diese Junker, diese Grundbesitzer, die samt und sonders außerordentlich verschuldet waren - und meist bei Juden -, deswegen antisemitisch waren, weil die Juden ihr Geld wiederhaben wollten.

(Heiterkeit links.)

Dieser Antisemitismus ist von einer Art, daß ich mich hier nicht weiter darüber zu äußern brauche. Ich brauche nur zu dem was ich eben sagte, noch hinzufügen: diese Herrschaften haben keinen Anstoß daran genommen, daß Juden, wie der Jude Stahl in ihrer Partei tätig gewesen sind, oder der Jude Ohm, ein ganz besonderes Prachtexemplar,

(Heiterkeit links.)

in der "Kreuzzeitung" tätig gewesen ist. Wer einmal die Wirksamkeit dieser Leute kennen gelernt hat, der weiß ganz genau, welche Heuchelei sich auch wieder hinter dem Antisemitismus der Rechtsparteien von jeher verborgten hat

(Sehr wahr! bei den Vereinigten Sozialdemokraten. - Zuruf links: Der deutschvölkische Herr v. Rosenthal.)

Aber was ist das für eine Art Antisemitismus, die hier von den Herren Graefe, Wulle und Henning mit Stolz vertreten wird? Wir haben heute eine kleine Probe davon bekommen, wie auch am Schlusse der Verhandlung am Sonnabend. Ich will ein paar Proben geben, die diesen Antisemitismus ins rechte Licht rücken. Der "Miesbacher Anzeiger", der hier oft genug herangezogen worden ist und der sehr an jenes Blatt in Wildwestamerika erinnert, aus dem früher immer Zitate durch die deutschen Tagezeitungen gingen (der "Arizona Rider"), wo man immer nur mit Revolver, mit Mord und Totschlag drohte, - der "Miesbacher Anzeiger" hat gelegentlich einen Funkspruch erlassen:

Gegen die "Sau- und Regierungsjuden" Funkspruch an alle Sau- und Regierungsjuden an der Panke, Dahme, Piese, Dosse, an der Havel und an der dreckigen Spree.

Und in einem kleinen Hand- und Werfzettel heißt es:

Was tun wir mit den Juden?
Und die Antwort lautet:


14S.11052B

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