|
bedeutet. Wenn gesagt wird, daß die Ostjuden in erster Linie herangezogen werden sollen, so ist damit zugleich eine
Schonung für alle anderen Einwanderer ausgesprochen und das können wir nicht billigen. Wir verlangen deshalb eine allgemeine
Form, wie sie unser Antrag vorsieht.
Wir fürchten nicht,14 wie Herr Sollmann, daß die Handhabung dieser Bestimmung durch die Landesbehörden, die ja die
Entscheidung haben, etwa dazu führen würde, daß Angehörige uns befreundeter Staaten schikaniert werden. Das Vertrauen,
daß das nicht geschieht, dürfen wir wohl zu allen obersten Landesbehörden haben.
(Bravo! Bei den Deutschen Demokraten.)
Präsident: das Wort hat der Herr Abgeordnete Ledebour.15
Ledebour, Abgeordneter: Meine Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Brodauf begründete seinen eigenen Antrag damit,
daß er sagte, es läge doch der Antrag Bruhn vor, der eine Ausnahmebehandlung der Ostjuden fordere, und deshalb hätte
die Demokratische Partei nicht umhin gekonnt, ihrerseits diese Materie von ihrem Gesichtspunkt aus zu behandeln.
Da bestätigt sich nur die alte Erfahrung, daß schlechtes Beispiel gute Sitten verdirbt. Denn der Antrag Brodauf
kommt praktisch auf dasselbe hinaus. Es würden zweifellos die Ostjuden, die sich hier niederlassen wollen oder bereits
niedergelassen haben, schwer benachteiligt werden, nur daß der Beschluß außerdem noch auf alle möglichen anderen Ausländer,
insbesondere auch auf die Westjuden, angewandt werden wird. Da wundert es mich am meisten, daß gerade Herr Abgeordneter
Brodauf in diese verschleierte Judenhetze mit einstimmt.
Aber diese beiden Anträge bergen noch eine große Gefahr für alle Deutschen in sich. Wir alle wissen, daß als Nachwirkung des
Krieges aus fremden Ländern die Deutschen teilweise ausgewiesen wurden, teilweise anderweit benachteiligt sind, wenn sie
im Ausland in irgendeiner Weise ihren Geschäften nachgehen wollen, besonders dann, wenn zu diesem Zwecke sich deutsche
Geschäftsleute und deutsche Arbeiter im Auslande Wohnung nehmen müssen. Glücklicherweise ist die im Ausland betriebene
Fremdenhetze gegen die Deutschen im Abflauen begriffen. Aber selbst in den Vereinigten Staaten von Amerika bestehen auch
heute noch mannigfache Vorurteile gegen die Deutschen.
Was meinen Sie nun, meine Damen und Herren, wie das im Ausland auf die dortigen Machthaber einwirken wird, wenn sie
erfahren, daß, wie der Antrag Brodauf wünscht, alle Ausländer beim Wohnungnehmen in Deutschland ganz besonders nachteilig
differenziert werden sollen! Dann wird dadurch zweifellos die Abneigung gegen die Deutschen im Auslande wiederum neue
Nahrung bekommen. Wenn Sie die Torheit begehen, den Antrag Bruhn oder den weitergehenden Antrag Brodauf anzunehmen,
dann werden die Deutschen, die im Auslande bereits ansässig sind oder die aus irgendeinem Grund, was Sie ja alle wünschen,
um die deutschen
14S. 9873A
15S. 9873B
vorige
|
Beziehungen zum Auslande und den deutschen Export zu heben, dort Wohnung suchen wollen, für Ihre Sünden zu büßen haben;
sie werden das ausbaden müssen, was Sie in Ihrer Unüberlegtheit mit derartigen Beschlüssen anrichten werden. Deshalb bitte
ich Sie noch in letzter Minute: haben Sie ein besseres Einsehen, wenn nicht aus Gerechtigkeitsgefühl gegen die hier Wohnung
suchenden Ausländer, wenigstens aus Sympathie für Ihre eigenen Landleute, die im Ausland sich in der gleichen Lage wie die
Ausländer hier befinden! Lehnen Sie die beiden Anträge ab!
Präsident: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung.16
Ehe ich über den Artikel selbst abstimmen lasse, möchte ich die Entscheidung über die dazu gestellten Anträge herbeiführen.
Der Antrag Bruhn, Hergt und Genossen auf Nr. 5568 scheint mir der weitergehende zu sein, da er wenigstens in einem Punkt,
nämlich in der Frage der Ostjuden, über den anderen Antrag hinausgeht. Sollte der Antrag abgelehnt werden, dann kommt der
Antrag Brodauf auf Nr. 5570 zur Abstimmung. Sollte auch er abgelehnt werden, dann kommt bei der Abstimmung über die
Entschließung die Entschließung Dr. Stresemann auf Nr. 5571 zur Abstimmung. - das Haus ist damit einverstanden.
Ich bitte zunächst diejenigen Damen und Herren, welche dem Antrag Bruhn, Hergt und Genossen auf Nr. 5568 zustimmen
wollen, sich von den Plätzen zu erheben.
(Geschieht.)
Das ist die Minderheit; der Antrag ist abgelehnt.
Nun bitte ich diejenigen Damen und Herren, welche den Antrag Brodauf auf Nr. 5570 zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben.
(Geschieht.)
Das ist ebenfalls die Minderheit; auch er ist abgelehnt.
16S. 9873C
|