1. Reichstag, Weimarer Republik

Obwohl Heerführer - der deutsche Kronprinz erzählt es ja von sich selber - gedrängt und gedrängt haben, in eine Stellung zurückzugehen, ist von der Obersten Heeresleitung ein solcher Befehl nicht gegeben worden.

(Hört! Hört! links.)

Infolgedessen fluteten die deutschen Truppen ohne Ziel zurück, und niemand hat gewußt, wo ein Halten sein würde; denn das dieses Halten etwa von selber am Rhein kommen werde, war kaum anzunehmen. Wenn aber einmal ein solcher Zustand eingetreten war, so wird der Herr Abgeordnete keinem irgendwie militärisch Geschulten weismachen, unsere Heere hätten sich noch eine erhebliche Zeit halten können.. Mit diesem gewaltigen doppelten Loch im Rücken war das Schicksal Deutschlands in jedem Falle besiegelt.

(Sehr wahr! bei den Deutschen Demokraten.)

Der Herr Abgeordnete Hensel scheint auch nicht zu wissen, wie es mit der Stärke des deutschen und der feindlichen Heere damals stand. Das deutsche Heer, das bei der Frühlingsoffensive im März 1918 noch eine außerordentlich große Kampfkraft und eine außerordentlich große Zahl von Reserven besaß - damals nämlich 84 Reservedivisionen und 84 ausgeruhte Divisionen -, ist nach den Nachrichten des französischen Generalstabschef Buat, der viel genauer über unsere Stärkezahl und Möglichkeiten unterrichtet war als die deutsche Oberste Heeresleitung,

(hört! hört! links)

der in seinem Buche ausführlich die einzelnen Zahlen, die den Tatsachen entsprechen, wiedergegeben hat, im laufe des Sommers 1918 geschmolzen wie der Schnee an der Sonne. Es schmolz zusammen, weil die Bestände der einzelnen Truppenteile, der Kompagnien, der Batterien usw. von Tag zu Tag geringer wurden, und schließlich an manchen Stellen nur noch eine Kopf- und Gewehrzahl von 20 bis 25 Leuten gehabt haben, daß dagegen die Bestände unserer Gegner in ihren Kompagnien eine Stärke von 198 und mehr gehabt haben.

(Hört! Hört! links)

Aber vor allem, genau in dem Maße wie die deutschen Divisionen zusammenschmolzen, in demselben Maße vermehrten sich die Divisionen des Gegners. Die Zahlen sind wirklich von so schlagender Beweiskraft, daß man sie, glaube ich nur einmal gelesen zu haben braucht, um die Dolchstoß-Legende für immer begraben zu sehen. Noch am 8. August hat Deutschland im ganzen 96 Divisionen in Reserve gehabt, schwach an Zahl, aber immerhin noch in Reserve. Davon waren 28 ausgeruhte Divisionen. Am 1. September hatten wir statt 96 nur noch 45 Divisionen, davon nur 14 ausgeruhte Divisionen.

(Hört! Hört! links.)

Also in sechs Wochen war die Zahl unserer Divisionen von 96 auf 45 zusammengeschmolzen. Der Gegner dagegen hatte am 15. September 88 Divisionen, also schon die doppelte Zahl. Aber am 1. November war die Zahl der deutschen Divisionen in Reserve auf 36 zusammengeschmolzen. Davon waren 31

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direkt hinter der Front als Reserve und nur 5 noch ausgeruht, das heißt, es war nichts mehr vorhanden. Die Franzosen und ihre Verbündeten aber hatten Anfang November 103 Divisionen in Reserve.

(Hört! Hört! links.)

Man vergleiche das: 36 Divisionen hier, aufgerieben durch den Kampf, und dort 103 vollkommen ausgeruhte vollkommen neuaufgefüllte, durchaus kampffähige Divisionen! Wer da hier noch streiten will, warum das deutsche Heer zusammengebrochen ist, warum es nicht mehr kampffähig war, mit dem ist überhaupt vom militärischen Standpunkt aus nicht mehr zu reden.

(Sehr richtig! links.)

Von einem nationalen Standpunkt aus, wie ihn der Herr Vorredner vielleicht für sich in Anspruch nimmt, begreift man es aber am allerwenigsten, wenn einem Heer und einem Volk, das so viel getan und geleistet, das so bis zum letzten Zusammenschmelzen gekämpft und gelitten hat, wenn man diesem Heere und diesem Volke vorwirft, es habe zuletzt Verrat an sich selber geübt.

(Lebhafte Zustimmung links.)

Wir protestieren im Namen des deutschen Volkes - das dürfen wir hier wirklich sagen - gegen diese Verleumdung. Denn etwas anderes ist es nicht.

(Bravo! links. - Zurufe bei den Deutschnationalen: Gegen wen spricht denn der Herr? - Gegenrufe: Unerhört!)

- Herr v. Graefe, mit Ihnen verhandele ich jedenfalls nicht. Meine Damen und Herren! Als gestern hier die Erregung auf ihren Siedepunkt gestiegen war, ist aus Ihren Reihen dort (nach links) das Wort gefallen: "Unsere Jungens!" das Gefühl war in Ihnen lebendig, was in uns allen ist, die ein vaterländisches Empfinden haben: es sind doch unsere Söhne und Brüder und wir selber gewesen, die gekämpft haben, und zwar gleichviel, wie der eine oder andere von Ihnen den Krieg heute im ganzen beurteilt. Wir alle, die wir mitgekämpft oder in der Heimat mitgearbeitet haben, haben das Gefühl gehabt, unsere Pflicht für die Nation zu erfüllen.

(Zustimmung.)

Deshalb lassen wir uns dieses Gefühl erfüllter Pflicht nicht nehmen, und vor allem nicht von denen, die wirklich kein Recht dazu haben, irgendwie mit uns in diesem Punkte in Wettbewerb zu treten.

(Lebhafte Zustimmung.)

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