1. Reichstag, Weimarer Republik


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Rathenaus, die so tragisch endete, es handelt sich um den Bestand unseres deutschen Volkes.

(Sehr wahr! um Zentrum.)

Der Meinung bin ich. Deshalb scheint es mir auch zu dieser Stunde notwendig, daß wir als die Vertreter des deutschen Volkes Ruhe bewahren und die Dinge offenen Auges, freien Herzens beurteilen, aber alles vermeiden und möglichst zurücktreten lassen, was irgendwie geeignet ist, die schon hoch genug gehenden Leidenschaften der Bevölkerung noch weiter anzufachen. Meine Verehrten! 8 Ich meine, es ist auch jetzt nicht der Ort und die zeit und die Gelegenheit, sich gegenseitig noch weitere Vorwürfe zu machen. Ich meine, wir sollten uns zusammenschließen und überlegen, wie wir uns in Zukunft zu verhalten haben. Wenn wir uns die Frage vorlegen, 9 was zu geschehen hat an der Bahre dieses Mannes in Anerkennung der zeitigen Lage unseres öffentlichen Lebens, so ist nicht zu leugnen, daß tatsächlich nicht mehr und nichts weniger als der Bestand der Republik in Frage steht. Wir stehen wiederum an einem Wendepunkt unserer Geschichte, und jeder, der es ernst nimmt mit unserem Staatswesen und unserem Volk und mit der Verfassung, die wir in freier Wahl in der freien Nationalversammlung beraten und beschlossen haben, ist verpflichtet, nun mit aller Energie und mit allem Ernst eine bestimmte Richtung einzuhalten. Ein Wanken und Schwanken darf es nun nicht mehr geben; es muß jetzt die Entscheidung fallen: halten wir an der republikanischen Verfassung fest oder nicht?

(Lebhafter Beifall links.)

Meine Verehrten! Ich werde sehr vorsichtig sein in der Beantwortung der Frage: wer kommt als Täter in Betracht? Ich weise es weit von mir, hier die Behauptung aufzustellen, daß eine der Parteien dieses Hauses irgendwie direkt an dieser Tat die Schuld trägt. Aber das kann ich bei aller Vorsicht hier doch sagen: die Atmosphäre, die von einer Partei dieses Hauses durch die monatelang fortgesetzte Kritik an den Maßnahmen der Regierung geschaffen ist, durch die Anwendung nicht einer scharfen Kritik, sondern einer persönlich überaus tief verletzenden Kritik,

(sehr wahr! links und in der Mitte)

einer Kritik, die lediglich das Negative hervorhob, die niemals irgendwie Positives geschaffen hat und Positives wollte, sondern lediglich geeignet war, nur herabzuwürdigen und herabzusetzen und damit die Leidenschaften weiter Bevölkerungskreise heranzubilden und aufzustacheln, - diese Atmosphäre ist wie keine andere geeignet, solche Wirrköpfe, wie wir sie zur Zeit unter uns haben, dazu zu bringen, zur Pistole zu greifen und auf diese Weise mehr instinktiv den Gedanken, die von anderer Seite angeregt sind, Ausdruck zu geben. An die Herren der Deutschnationalen Partei möchte ich in allem Ernst die Bitte richten, einmal Hand an ihre Presse zu legen.

(Sehr wahr! im Zentrum.)


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vorige

Wir können hier nicht verschweigen, daß die deutschnationale Presse schon seit Monaten darauf ausgeht, die politischen Leidenschaften in einer Weise anzustacheln und zu entflammen, wie es geradezu unverantwortlich ist.

(Sehr richtig! links und in der Mitte.)

Das hat angefangen monatelang vor der Ermordung eines Erzbergers, das ist wieder in geradezu niederträchtiger Weise zutage getreten bei dem Attentat auf Scheidemann. Meine Verehrten, 10 wenn nach Lage der Dinge mit aller Entschiedenheit zum Schutz der Republik Stellung zu nehmen ist, so kann es niemand einer Regierung, die ernst vorgehen will, übelnehmen, wenn sich ihre Maßnahmen in erster Linie gegen die wenden.

(Sehr richtig!)

Das ist Notwehr seitens der Regierung, Notwehr seitens des Staates

(sehr richtig!)

und deshalb durchaus gerechtfertigt.

Meine Verehrten, zurzeit hat ja die deutschnationale Presse einen Ton angeschlagen, der in sehr anerkennenswerter Weise vom Ton früherer Aufsätze abweicht. Auch sie verwirft jetzt in der denkbar schärfsten Weise jede Mitschuld an dieser Tat, abgesehen von einigen auf direkt unchristlichem Boden stehenden Blättern. Wenn hier von Herrn Wulle und seinen Blättern gesprochen wird, so sage ich: ich rechne solche Blätter nicht mehr zu den Organen einer christlich sich nennenden Partei.

(Lebhafte Zustimmung im Zentrum und bei den Sozialdemokraten.)

Das ist direkt Götzendienst, das ist direkter Wotansdienst, was in diesen Blättern gepredigt wird, und alles, was mit Hakenkreuzen, Sonnenwendfeiern zusammenhängt, gehört in dieselbe Richtung.

(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten und im Zentrum.)

Wenn sich unsere jungen Leute vielleicht in militaristischen Ideen auf diese Kindereien einlassen, auf den Gebrauch der Hakenkreuze, auf Sonnenwendfeiern, so sind das, auf ihre geschichtlichen Grundlagen zurückgeführt, darauf möchte ich an dieser Stelle aufmerksam machen, doch lediglich Dinge, die mit dem altdeutschen Götterkult, mit der Wotansverehrung, zusammenhängen. Auch das Hakenkreuz ist zurückzuführen auf die alten Göttersagen. Es ist mir gesagt worden, daß es die vier Pferde Thors seien, die in dem Hakenkreuz zusammengefaßt seien. Es sind also geradezu antichristliche, heidnische Gebräuche, die hier in unsere moderne Zeit eingeführt werden. Meine Damen und Herren! 11 Ich sage also noch einmal: der Erlaß von Ausnahmebestimmungen ist zurzeit angesichts der fortgesetzten Bedrohung der Republik durchaus gerechtfertigt. Er bedeutet einfach ein Akt der Notwehr. Wir stehen einmütig hinter den Verordnungen des Reichspräsidenten. Ich billige


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