Donnerstag den 23. März 1922
Präsident: Wir kommen zum dritten Gegenstand der Tagesordnung:
Zweite Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über Änderung des Kohlensteuergesetzes
Berichterstatter: Abgeordneter Löffler.
Löffler, Abgeordneter, Berichterstatter.1 Meine Damen und Herren! Das bisherige Kohlensteuergesetz enthielt eine Kohlensteuer
von 20 vom Hundert. Die Regierung beantragt, diese Steuer von 20 auf 40 Prozent zu erhöhen. Der 35. Ausschuß des Reichstags hat
sich hiermit befasst und in diesem Punkte der Regierungsvorlage zugestimmt.
Vizepräsident Dietrich: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Koenen:2
Koenen, Abgeordneter: Werte Versammlung! Früher haben die Erhöhungen von Biersteuern, schwere, monatelange Kämpfe hervorgerufen.
Sie entsinnen sich, daß wir als Sozialdemokraten in den Jahren 1908 und 1909 große Massenbewegungen hatten, die zu Bierboykotts
führten. Von solchen Massenbewegungen gegen diese Steuern halten die sozialdemokratischen Führer jetzt die Massen bewusst zurück,
weil sie entschlossen sind, die Teuerung noch weiter gehen zu lassen als bisher.
Aber in den Schriften, die die Sozialdemokratie früher verbreitet hat, heißt es ganz ausdrücklich:
Indirekte Steuern auf Luxusartikel bringen nichts ein. Die Massenartikel müssen es bringen, und zwar die Konsumartikel der Massen, dazu
gehört auch das Bier. Deshalb ist in Deutschland verzollt und versteuert Getreide und Mehl, Hülsenfrüchte, Backwaren, Vieh, Fett, Salz,
Fleisch, Butter und Schmalz, Seife, Petroleum, Streichhölzer, Zucker, Tabak, Bier und Branntwein, Heringe, Eier, Obst, Käse und Margarine,
kurz und gut, fast jedes Nahrungs- und Genussmittel und jede andere irgendwie notwendige Ware. Die unentbehrlichen Artikel bringen die
größten Einnahmen. So bringen Getreide und Hülsenfrüchte allein ein Drittel aller Zolleinnahmen des Reichs. Werden aber die notwendigen
Gebrauchsgüter teurer, so schränkt sich das Volk bei allen anderen Ausgaben ein. Da wird der Gürtel immer enger geschnallt; da wird eine
billigere Wohnung genommen. Der Rock wird noch einmal geflickt, anstatt daß ein neuer gekauft wird. Es wird eine schlechtere und billigere
1Bd. 353,S. 6508C
2 S. S.6535A
vorige RT 193
|
Zigarre gekauft. Die Zeitung wird abbestellt. Man versagt sich ein kleines Vergnügen, das man sich früher leisten konnte, - kurz,
alles was das Leben etwas freundlicher gestalten könnte, unterbleibt, weil man gezwungen ist, im Dienste der herrschenden Klassen zu fronen.
Das war früher sozialdemokratische Weisheit. Es mag den Herren bekannt in den Ohren klingen, aber lang, lang ist's her.
Das sind Märchen, von denen Sie vielleicht nur, wenn Sie das böse Gewissen Sie einmal plagt, noch in unruhigen Nächten
träumen. Aber, wie es hier am Schlusse gesagt ist: alles, was das Leben etwas freundlichen gestalten könnte, unterbleibt.
So soll durch diese Biersteuer und durch die Verteuerung des Bieres auch das Bisschen Geselligkeit des Proletariats getroffen
werden. Wir können uns wohl Geselligkeit ohne Bier vorstellen. Aber vorläufig ist es durch die Schande der bürgerlichen
Parteien, durch die Kriegsfolgen immer noch so, daß die Masse die Geselligkeit beim Bier sucht. Dieses Bisschen Freude
und Geselligkeit wollt Ihr ihnen verbittern und vergällen. Deshalb verteuert man das Bier. Sie sollen willige Sklaven und
Untertanen des Stinnes und Kompanie werden.
Ich möchte am Schluß noch kurz begründen, da das ja im Zusammenhang geschehen muß, warum wir noch beantragen, den § 2 des
Biersteuergesetzes zu streichen. In diesem Paragraphen heißt es:
Von der Biersteuer ist befreit Bier, daß unter Steueraufsicht aus dem Geltungsbereich dieses Gesetzes ausgeführt wird.
Es stellt sich also heraus, daß das Bier, das wir in Deutschland brauen und selbst trinken, uns durch diese Steuer verteuert
werden solle. In § 2 wird nun ausdrücklich beschlossen, daß die Ausländer das deutsche Bier billiger trinken sollen.
(Hört! Hört! bei der Kommunistischen Partei.)
Eine feine patriotische Politik.
Früher hat sich die Sozialdemokratie auch dagegen gewandt und sich darüber entrüstet. Wir werden darauf noch ganz
besonders bei der Zuckersteuer zurückkommen. Wir haben uns darüber beschwert, daß man in Österreich und in der Schweiz das
deutsche Bier billiger trank als hier, weil ja, wenn das Bier ins Ausland ging, keine Steuer darauf gelegt wurde. Jetzt
heißt es, wir sind ein armes Land, wir sind in Not, wir müssen, wie wir bei der Kohlesteuer gesehen haben, durch die
Kohlensteuer die Preise erhöhen, um an die Weltmarktpreise heranzukommen. - und schon beim nächsten Gesetz schlägt man
sich dieses Argument aus der Hand, indem man den § 2 bestehen lässt, der eben das Bier, was ins Ausland geht, nicht mit
Steuern belegen will. Damit kennzeichnen Sie, daß dieses Argument beim Kohlesteuergesetz nur ein Schwindel war.
(Sehr wahr! Bei der Kommunistischen Partei.)
nächste
|