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(Hört! Hört! Bei den Deutschnationalen.)
Meine Damen und Herren! Ich fasse zusammen:9 Nirgends in der Welt gibt es eine Besitzsteuer, die sich mit der Vermögenssteuer,
wie sie jetzt beschlossen werden soll, auch nur annährend vergleichen lässt.
(Sehr richtig! Bei den Deutschnationalen.)
Ob unsere Wirtschaft diese Belastung überhaupt ertragen kann, wird die Praxis zeigen müssen. Wir sind ja dem ausgesetzt, daß
mit uns experimentiert wird wie mit Karnickeln. Wir sind dem ausgesetzt, daß am lebendigen leibe das Experiment der Erfüllungspolitik
über uns ergeht. Weichherzige Menschen bis hinein in die Reihen der Kommunisten wollen die Vivisektion an Tieren abschaffen.
Das deutsche Volk aber scheint der Welt als Objekt für eine Vivisektion gerade gut genug zu sein.
(Lebhafte Zustimmung rechts.)
Auch bei dieser Steuervorlage, durch die wir das denkbar größte Opfer auf uns nehmen, durch die wir bis an die Grenze dessen
gehen, was wir äußerstenfalls noch verantworten könne, müssen wir die Bedeutung dieses Opfers unterstreichen.
Man hat uns nach Paris nicht geladen;10 wir sind doch nicht zu Worte gekommen. Aber konnte sich der Reichskanzler oder
konnte sich auch der Reichsminister des Auswärtigen eine bessere Gelegenheit wünschen als die Generaldebatte über die
neuen Steuern, um vor aller Welt seine Stimme zu erheben?
(Lebhafte Zustimmung rechts.)
War nicht der Ausschluß von den Pariser Besprechungen für die Leiter unserer Politik geradezu ein Zwang, von der Tribüne der
deutschen Volksvertretung herab das zu sagen, was die Staatsmänner der Entente gerade in diesem Augenblick aus deutschen Munde;
aus dem Munde der deutschen Regierungschefs hören müssten,
(sehr richtig! rechts)
zu sagen, daß acht Dekadenzahlungen von
31 Millionen Mark genügt haben, um den Berliner Dollarkurs von 160 auf mehr als 290 in die Höhe zu jagen,
(hört! Hört! rechts)
zu sagen, daß die letzten Wochen schon im voraus den bündigen Beweis dafür erbracht haben, daß auch die uns jetzt auf Grund der
Beschlüsse von Cannes anscheinend zugedachten Lasten an Devisen und Sachleistungen eine genau so blanke und bare Unmöglichkeit
sind wie alles, was man uns bisher zugemutet hat?
(Lebhafte Zustimmung bei den Deutschnationalen.)
Gab es eine bessere Gelegenheit, den Staatsmännern der Entente einiges darüber zu sagen, wie die Okkupationen und wie die
Kommissionen alles aufzehren, was das deutsche Volk überhaupt leisten kann und mehr als das, wie sie uns das Mark aus den Knochen wegfressen?
9S. 6383C
10S. 6383D
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(Erneute lebhafte Zustimmung bei den Deutschnationalen.)
Gab es eine bessere Gelegenheit, zu sagen, daß die sogenannte Reparation und der Wiederaufbau bisher nichts anderes sind als eine
gleisnerische, eine lügnerische Fassade? Wiedergutmachung heißt das Deckblatt. Wie heißt der Kern? Der Kern heißt Ausräuberung des deutschen Volkes!
(Wiederholte lebhafte Zustimmung bei den Deutschnationalen.)
Präsident: das Wort hat der Herr Abgeordnete Kahmann.
Kahmann, Abgeordneter: Meine Damen und Herren!11 Wenn das deutsche Volk im Juli 1920 so gewählt hätte, daß der Reichstag
über eine stärkere Linke verfügte, dann sähe zweifellos das Steuerkompromiß weit günstiger aus, als es ist, und auch die
Vermögenssteuer hätte ein anderes Aussehen bekommen, als das jetzt der fall ist. Aber das Volk hat nun einmal die Staatsgewalt,
die bei ihm liegt und von ihm ausgeht, nicht in ausreichendem Maß zugunsten der Sozialdemokraten angewandt.
(Lachen bei der Kommunistischen Partei.)
Wir mussten uns und müssen uns mit dieser, wenn auch fatalen Tatsache abfinden, und wir haben daher aus inner- und außenpolitischen
Gründen immer positiv aufbauend in der deutschen Republik mitgearbeitet. Wir haben darauf verzichtet, in die, ach so sehr bequeme
reine Agitationsstellung einzutreten,
(hört! hört! bei der Kommunistischen Partei)
weil das den arbeitenden Massen außerordentlich teuer zu stehen gekommen wäre.
(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten. - Zuruf
bei der Kommunistischen Partei.)
Leider müssen wir Sozialdemokraten Koalitionspolitik treiben,12 und leider müssen wir im Interesse des deutschen Volkes
Kompromisse schließen. Kompromisse sind natürlich nicht geeignet, reine Freude auszulösen. Die harten Tatsachen drängen uns dazu.
Weil mit der Diktatur hier in Deutschland, wie auch in Russland, in wirtschaftlichen und steuerlichen Dingen absolut nichts
auszurichten ist, muß ja auch der Heilige der Kommunisten, Herr Lenin in Russland, eine Konzession nach der anderen an die
Kapitalisten machen. Uns lässt es völlig kalt, wenn Herr Koenen und Herr Höllein uns Beteiligung am Steuerraubzug vorwerfen.
Die arbeitenden Massen werden - des sind wir absolut sicher - Herrn Koenen und seinen Freunden nicht die Gefolgschaft leisten,
die sie haben wollen.
(Zuruf von der Kommunistischen Partei:
Abwarten!)
Denn die arbeitenden Massen haben alle bei den Putschen, die Sie (zu den Kommunisten) häufig unternahmen und unterstützten, eingesehen, daß mit
11S. 6389A/B
12S. 6389C
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