1. Reichstag, Weimarer Republik


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Ich mache weiter darauf aufmerksam, daß auch der Herr Reichsernährungsminister rechtzeitig gewarnt worden ist. Schon im August und September sind ihm Telegramme aus dem Industriegebiet zugegangen, die gar keinen Zweifel darüber gelassen haben, wie bitter ernst die Lage schon da war, und wie sie werden würde, wenn man nicht wenigstens für genügende Kartoffelversorgung für den Winter sorgte. Nun will ich aber etwas näher auf die Kartoffeln eingehen. Der Herr Reichsernährungsminister hat am Freitag gesagt, daß vor allen Dingen das Einmieten der Kartoffeln im Herbst eine Notwendigkeit sei, um im Frühjahr die Bevölkerung mit Kartoffeln versorgen zu können. Das sei natürlich auch in diesem Jahr gemacht worden, und dadurch sei der Tagesmarkt etwas entblößt worden.

(Zuruf rechts: Saatkartoffeln!)

- Jawohl, die Saatkartoffeln waren extra genannt. Über die Notwendigkeit Saatkartoffeln zurückzuhalten sind wir uns wohl alle einig bis auf diejenigen Landwirte, die in der "Deutschen Tageszeitung" und sonst wo inserieren, daß sie Saatkartoffeln zu verkaufen haben,

(sehr gut! links)

die unserer Meinung nach wohl nicht alle Saatkartoffeln sind, denn sie werden ja zum Speiseverbrauch inseriert. Aber ich möchte nun dem Herrn Ernährungsminister nach dieser Seite hin sagen: ich weiß auch ein ganz klein wenig Bescheid in der Landwirtschaft. Das Einmieten der Kartoffeln ist allerdings Usus, um im Frühjahr die notwendigen Verbrauchskartoffeln zu haben. Das ist aber sonst nur geschehen, wenn der Bedarf der Bevölkerung für den Winter gedeckt war, zum mindesten, wenn alle abgeschlossenen Lieferverträge erfüllt waren. - Jawohl, Herr Kollege, wenn Sie den Kopf schütteln, dann ist das vielleicht in den letzten Jahren schon so gewesen, daß man in der Landwirtschaft glaubte, Lieferungsverträge nicht mehr ausführen zu brauchen. Aber im allgemeinen ist das immer so gewesen und wird auch immer so sein: man mietet den Rest der Kartoffeln ein, das, was man für das Frühjahr noch gebrauchen will. Es ist aber auch von dem Herren Minister über den Waggonmangel, der immer wieder in den Vordergrund geschoben wird, gesprochen worden. Es ist uns allen von rechts und von links gleichermaßen bekannt, daß der Waggonmangel einen großen Teil an der Ursache der Nichtbelieferung der Städte ausgemacht hat. Aber so, wie es hier immer hingestellt wurde, ist es denn doch nicht. Ich kann Ihnen einen westfälischen Industriekreis nennen, in dem elf Lieferungsverträge für Kartoffeln im August und September abgeschlossen waren, mit insgesamt zirka 200 000 Zentnern. Der Bedarf in diesem Kreise ist zirka 300 000 Zentner. Von diesen Kartoffeln ist nicht ein einziger Zentner geliefert worden,

(lebhafte Rufe links: hört! hört!)

nicht etwa weil keine Waggons zur Verfügung standen, sondern weil den Firmen bzw. Den Landwirten die


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Preise nicht hoch genug waren, sonst hätte man geliefert.23 Nun ruft mir der Herr Kollege Krüger zu: Verlangen Sie sie doch". Das ist wunderbar. Auf diesen Standpunkt steht die gesamte Landwirtschaft, indem sie sagt: "Wir haben ja das Haftpflichtgesetz, bitte belangt uns doch?" Die Landräte haben auch zum Teil bereits die Klagen anhängig gemacht. Aber bis diese Klagen entschieden werden - das wissen Sie ganz genau, Herr Kollege Krüger -, ist der Winter vergangen, und den hungernden Menschen im Industriegebiet ist damit leider gar nicht geholfen.

(Lebhafte Zustimmung links. - Zurufe rechts: Dann werden sie regreßpflichtig gemacht!)

- Ja, was nützt das? Damit ist den Leuten jetzt nicht geholfen. -

(Zuruf rechts: Sie wollen doch den Effekt erreichen, daß die Kartoffeln kommen!)

- Wir wünschen, daß das Reichsernährungsministerium in solchen Fällen zu Zwangsmaßnahmen greift, und, meine Herren von der rechten Seite, dazu würde es ja wohl nötig sein, daß gesetzliche Verordnungen erlassen werden, die Sie dann hier im Reichstag mit unterstützen müssen, damit sie Gesetzeskraft erlangen können, - Verordnungen gegen solche Leute, die einfach ganze Bezirke sitzen und hungern lassen, die auf dem Standpunkt stehen: ihr könnt uns ja verklagen. -

(Zuruf rechts: nenne Sie doch die Namen, damit wir das Nötige veranlassen können! - Lachen links.)

- Sie können die Namen nachher bekommen, wenn Sie sie haben wollen.-

(Zuruf rechts: Nein, jetzt gleich! Gegenrufe links: Damit Sie sie warnen können.)

- Die Namen stehen Ihnen nachher zur Verfügung; wir wollen damit bis nachher warten. Es sind ja auch zu einem Teile Klagen anhängig gemacht worden. -

Ich sagte vorhin schon, daß nicht nur die Händler Wucherpreise nehmen, sondern auch die Produzenten. Ich wollte Ihnen den Beweis dafür liefern, daß auch Produzenten unter denen sind, die die Lieferungsverträge nicht ausgeführt haben; es sind zwei Produzenten, große Güter. Ein anderer Fall ist folgender:

(Zuruf des Abgeordneten Krüger-Hoppenrade.)

- Ich werde Ihnen sofort den Namen nennen, ganz gleich zu welchem Zweck Sie ihn gebrauchen, ob Sie den Herrn warnen oder nicht. Es ist ein Herr v. Ellermann in der Uckermark, der seine Kartoffeln einmietete und keine davon verkaufte, bis ihm eben 83 Mark für den Zentner geboten wurden. Dann verkaufte er 1000 Zentner an den notleidenden Kreis.

(Lebhafte Zurufe links: Hört! Hört! - Zurufe rechts: Wo wohnt der Mann?)

- Ich werde Ihnen nachher auch noch den Ort nennen; ich habe ihn in meinen Notizen nicht; aber ich gebe Ihnen alles, was Sie brauchen; Sie können versichert sein, daß Sie das genaue Material bekommen. - Das der Waggonmangel nicht in dem behaupteten Maße Schuld an der mangelhaften Kartoffelversorgung trägt, können wir auch dadurch bewiesen, daß selbst kleine Städte, die im Erzeugergebiet liegen, wie z. B. die Stadt Köslin, für ihre Einwohner zunächst überhaupt keine Kartoffeln bekommen konnten.


23 S. 5048C

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