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(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten. - Zuruf
rechts: Weil Sie unbelehrbar sind!)
- Weil wir unbelehrbar sind?
(Zuruf rechts: Jawohl!)
Aber wenn man weiter die Worte des letzten Redners gehört hat, muß man beinahe die Auffassung gewinnen, als handle es sich bei
der Interpellation nicht um die brennende Not des Volkes, sondern um die Not der Landwirtschaft.
(Sehr wahr! links. - Zurufe rechts.)
- Ja, die Not der Landwirtschaft ist so groß, daß ich Ihnen aus einem landwirtschaftlichen Blatt etwas vorlesen möchte, um
Sie zu widerlegen, und zwar aus der landwirtschaftlichen Grundbesitzer- und Pachtschutzzeitung "Ahr und Halm". Diese schreibt:
Auch die deutsche Landwirtschaft, deren Interessen wir vertreten, wandelt auf falschen Bahnen
(hört! hört! links.)
Umkehr und Einsicht sind notwendig. Es scheint wie eine Krankheit unter der Landbevölkerung die Sucht nach Luxus einzureißen,
(hört! hört! links)
und dabei fehlt namentlich den kleinen Landwirten die Kunst und das Geschick, ihren erworbenen Reichtum in vornehmer und
unauffälliger Weise unterzubringen oder anzulegen.
Das steht in einem Blatte der Arbeitgeber. Weiter:
Es ist von verschiedenen Landwirten behauptet worden, der Erzeugerpreis für den Zentner Kartoffeln betrage 25 Mark. Manche
Landwirte und besonders solche, die einen Einblick in die Notlage der städtischen Bevölkerung haben, erklären, daß der Erzeugerpreis
mit 17 bis 20 Mark als durchaus angemessen zu betrachten ist.
(Hört! Hört! links. - Zurufe rechts.)
Dabei möchte ich erwähnen - und ich möchte das gerade auch dem Herrn Reichsernährungsminister sagen, der am vorigen Freitag über
die Flucht vor der deutschen Papiermark im Inland gesprochen hat -: Jawohl, die Flucht vor dieser Mark ist da, aber doch nur bei
Leuten, die überhaupt dieses Papiergeld besitzen, und das ist zu einem großen Teil die Landwirtschaft. Kommen Sie hinein in die
kleinen Provinzstädte und sehen Sie, was gekauft wird. Das ist geradezu unglaublich. Es werden z. B. Möbeleinrichtungen von
Bauern gekauft, die sonst von Rittergutsbesitzern, die ihr Geld heute noch anders unterbringen, nicht gekauft worden sind. Es
werden Wäscheausstattungen bis zu 10 000 Mark angeschafft, nur um das Papiergeld, was man aus der Not des Volkes gesogen hat, wieder unterzubringen.
(Sehr richtig! links.)
Für Fett und Margarine sind die Preise inzwischen so ungeheuerlich gestiegen, daß es kaum noch glaublich ist. Für ein
Pfund Margarine werden in Berlin 36 und 38 Mark bezahlt; für ein Pfund Schmalz 40 Mark. Nun bitte ich immer wieder zu
bedenken, was dabei die Leute mit einem durchschnittlichen Gehalt
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von 300 Mark die Woche, die dazu eine Familie haben, und was erst alle diejenigen machen sollen, die überhaupt keine Arbeit
und keinen Verdienst haben. Ja, meine Damen und Herren, dann kommt es eben so weit, wie es leider in Neukölln in den verflossenen
Tagen geschehen ist. Dann kommt es zu Unruhen, und gegen die Ruhestörer muß dann natürlich im Interesse des Staates eingeschritten
werden. Wäre es denn nicht viel richtiger vorzubeugen, indem man eine vernünftige Ernährungsgrundlage schafft? Und Sie (nach rechts)
würden daran helfen, diese Verhältnisse zu verbessern, wenn Sie sich gegen den Wucher durch Teile der Landwirtschaft ehrlich wehrten!
(Zuruf rechts: Ja!)
- Dann helfen Sie dazu. Ich möchte nur hierbei sagen, um auf die ausgebrochenen Lebensmittelunruhen zurückzukommen. - Ihr Lachen,
Herr Kollege, beweist nur, wie unendlich fern Sie der Not des Volkes stehen; es beweist aber auch, wie unendlich tief in manchen
Menschen das sittliche Empfinden gegenüber der Not ihrer Mitbürger gesunken ist. - Also ich möchte nur aussprechen, daß solche
Unruhen überhaupt nur entstehen können aus bitterer Not. Und wenn, wie von dem Herrn Vorredner es hier getan worden ist, in einer
geradezu unglaublichen brutalen Weise betont wird - -
(Zuruf rechts.)
- Ich glaube, Sie haben noch kein Kind Hungers sterben sehen!
(Zuruf rechts: In welchem Zusammenhang habe
ich davon gesprochen?)
- Sie haben im Zusammenhang mit den kommunistischen Unruhen davon gesprochen. Wir lehnen Gewalttätigkeiten von links und rechts
ab. - Aber Sie sollten sich darüber klar sein, daß bei einer solchen Lebensmittelnot, wo derartige Unruhen entstehen, auch
weitere Unruhen erwachsen können. Dann wollen Sie mit diesem unglaublichen Mittel eingreifen und alle Bewohner der Großstadt
einfach dem Hungertode überantworten.
(Erregter Zuruf rechts: Sie verdrehen meine Worte!)
Wenn Sie überhaupt noch ein menschliches Gefühl haben, dürfen Sie diesen Gedanken22 nicht einmal erwägen, so verbrecherisch, so brutal ist er.
(Lebhafte Zustimmung links. - Widerspruch und
erregte Zurufe von den Deutschnationalen.)
Im übrigen möchte ich zu all dem, was wir vielleicht noch in diesem Winter erleben können, und zu den Unruhen, die schon gewesen
sind, die wir unendlich bedauern, die wir aber auch zu verstehen und deren Ursachen wir im Anfang zu beseitigen bitten, doch sagen,
daß ja die einzelnen Staatsregierungen nicht im Zweifel darüber gewesen sind, was bei den schon im Sommer einsetzenden
Preiserhöhungen für den Winter zu erwarten war. Ich weise darauf hin, daß im Überwachungsausschuß Herr Preger von der bayrischen
Regierung die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung des Ausnahmezustands unter anderem damit begründet hat, daß die allgemeine
Lebensmittelpreiserhöhung die im Winter zu erwartende Verbitterung des Volkes so steigern würde, daß auch Unruhen befürchtet werden müssten.
(Lebhafte Rufe: Hört! Hört! links.)
22 der geplante Lieferstreik der Agrarier
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