1. Reichstag, Weimarer Republik


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Seite 163

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belegen, hier vollständig verlesen. Das erste Dokument, das vom 29 Juli datiert ist, hat folgenden Wortlaut: Reichslandbund.

Die durch die fruchtlosen Versuche der Regierung, den Verpflichtungen aus dem unerfüllbaren Ultimatum nachzukommen, hervorgerufenen neuen Steuerpläne haben eine ganz außerordentliche Erregung in das Land getragen. Kundgebungen, Entschließungen, Eingaben, Presseerörterungen usw. in allen Landesteilen sind die natürliche Folge gewesen. Die Gefährlichkeit der einzelnen Pläne der Regierung hat aber zu der Erkenntnis geführt, daß diese Tätigkeit als Abwehr gegen die Regierungsabsichten nicht genügt. Die Sorge um die Zukunft der deutschen Volkswirtschaft hat daher weite Kreise des Landvolkes veranlaßt, auch alle sonstigen Schritte zu erwägen, die geeignet sein könnten, die Regierung zur Aufgabe aller produktionszerstörenden Steuerpläne zu veranlassen. Unter Berücksichtigung dieser Zustände ist unter anderem der Brandenburgische Landbund zu der Erwägung des Lieferstreiks gekommen. Der ungeheure Ernst der Lage läßt es uns als notwendig erscheinen, den angeschlossenen Verbänden von diesen Beratungen des Landbundes Kenntnis zu gebe und in der Anlage einige der von dem Landbunde für einen eventuellen Lieferungsstreik aufgestellten Hauptgesichtspunkte zur Kenntnisnahme beizufügen. Wir sind der Meinung, daß abgesehen von allem anderen, zum Schutze der Lebensfähigkeit der deutschen Landwirtschaft gegenüber dem Vernichtungsplänen der Vollzugsorgane des feindlichen Auslandes alle im Rahmen der Gesetze liegenden Abwehrmaßnahmen erwogen werden müssen, darunter auch als letzte der landwirtschaftliche Lieferungsstreik. Es ist alles daran zu setzen, daß es der Tätigkeit und Einmütigkeit des deutschen Landvolkes gelingt, Regierung und gesetzgebende Körperschaften von der Unmöglichkeit der Durchführung ihrer Steuerpläne zu überzeugen.
Reichslandbund. gez. v. Woedtke.

Und nun kommen die Anweisungen zum Lieferungsstreik. Hier heißt es:

Vorbereitung: ist im einzelnen in jedem Kreise so fertigzustellen, daß der Streik erforderlichenfalls sofort einsetzen kann.

(Hört! Hört! auf der äußersten Linken.)

Worauf erstreckt sich der Streik? Grundsätzlich auf alle landwirtschaftlichen Produkte. Am wirksamsten Milchstreik, der vom ersten Tage an restlos erzwungen werden muß.


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(Hört! Hört! auf der äußersten Linken.)

Streikleitung in jedem Kreis oberstes Organ. Kontrollkommission in jedem Bezirk (vier handfeste, energische Männer). Kontrollkommission erzwingt Durchführung. In jedem Ort Streikobmann mit Streikpostentrupp, der Durchführung kontrolliert und nötigenfalls erzwingt. Sperrmaßnahmen: Jeder Kreis ist zunächst an Kreisgrenze durch Streikposten abzusperren. Keinerlei landwirtschaftliche Erzeugnisse hinauslassen, Bahnhöfe absperren gegen jede Lieferung aus Kreis. Zugkontrolle auf den Durchgangsstationen. Wagen mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen anhalten.

(Hört! Hört! bei den Kommunisten.)

Dieses Dokument zeigt die offene Klassenkampfstellung, die von seiten der Großagrarier gegenüber den übrigen Gesellschaftsklassen eingenommen wird. Da muß man fragen: was hat nun die kleinbürgerliche Regierung gegenüber dieser Junkerherausforderung unternommen? Wenn von Arbeiterseite derartige Pläne zur vollständigen Unterbindung des Verkehrs, derartige Eingriffe in die in die technischen Verkehrsmittel, in die Eisenbahnen, erfolgen würden, würden diese Arbeiter längst hinter Schloß und Riegel sitzen. Hier ist aber von einem Führer des Landbundes, mit vollem Namen gezeichnet, ein vollständiger Aufstandsentwurf ausgearbeitet und versandt worden, ohne daß man bisher gehört hat, daß der Staatsanwalt oder die Behörden irgendwie dagegen eingeschritten wären. Daß dem so ist, darf einen nicht Wunder nehmen im Staate der Wucherer und Ausbeuter; denn dieser Staat ist der Staat der Wucherer und Ausbeuter. Ich will Ihnen über die heutigen Zustände die Auffassung eines Mannes vortragen, der gewiß nicht im Rufe steht, revolutionäre oder irgendwie aufrührerische Absichten zu haben, sondern der ganz auf Ihre Seite gehört.13 Es ist der Herr Edler v. Braun, der Vorsitzende des Reichswirtschaftsrates, der in einem Vortrag in Nürnberg festgestellt hat, daß für 35 Millionen Menschen d. h. für 56 Prozent des deutschen Volkes kein Brot vorhanden ist,

(hört! hört! bei den Kommunisten)

nicht die notwendigen Rohprodukte vorhanden sind und sie aus dem Ausland eingeführt werden müßten, wenn die Möglichkeit bestände. Ich habe ihnen vorhin auseinandergesetzt, wie wenig von dem, was das deutsche Volk an Nahrungsmitteln eigentlich erfordert, überhaupt hereingekommen ist und wie gewaltig der Konsum zurückgegangen ist. Hier in diesen Zahlen hat Edler v. Braun festgestellt, daß das arbeitende Volk Deutschlands vor dem Verhungern steht.

(Hört! Hört! bei den Kommunisten.)

Wenn wir die Frage aufwerfen welches die Ursachen sind, so wissen wir, daß dem deutschen Boden bereits das Drei- bis Vierfache von der heutigen Menge abgerungen worden ist. Wir wissen, daß der Boden viel mehr Früchte abgeben könnte, wenn die kapitalistische Produktionsweise dieses nicht verbieten würde. Ich werde Ihnen beweisen,


13 S. 5032B

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