|
man soll es in seiner Armut beobachten, da wo es die Armut zu verbergen hat.
(Zustimmung links. )
Welcher Druck auf die Lebenshaltung unserer Bevölkerung ausgeübt wird, dafür ist ein Beweis der starke Rückgang an
Fleischkonsum. Nach den statistischen Ergebnissen über die beschaupflichtigen Schlachtungen haben wir im Halbjahr 1921
im Vergleich zum Jahre 1913 einen Rückgang des Fleischverbrauches von 60 Prozent zu verzeichnen.
(Hört! Hört! links.)
Lassen sie mich ein paar Einfuhrwaren auf dem Lebensmittelmarkt erwähnen, die auch darauf hindeuten, wie stark wir die
Einfuhr gedrosselt haben und wie sehr die Lebenshaltung der Bevölkerung zurückgegangen ist. Wir hatten an Obst und
Dörrobst im Jahre 1913 rund 545.000 Tonnen eingeführt, im Jahre 1920 112.000 Tonnen. Die Einfuhr an Südfrüchten betrug
1913 318.000 Tonnen, im Vorjahr 88.000 Tonnen. Wir hatten an Kolonialwaren eingeführt im Jahre 1913 544.000 Tonnen und
im Vorjahre 241.000 Tonnen. An Eiern haben wir eingeführt im Jahre 1913 171.000 und im Vorjahre 4.654 Tonnen.
Alle diese Zahlen beweisen, wie stark der Einfluß der enorm hohen Preise auf die Gestaltung der Lebenshaltung unserer
Bevölkerung ist. Wenn sich das die Damen und Herren einmal vergegenwärtigen, so werden sie auch verstehen, wie hart
das Urteil draußen im Volke ist, wenn die Lebenshaltung noch weiter eingeschränkt werden muß. Denn diese Einschränkung
muß bei den enorm hohen Preisen eintreten, weil die Löhne und Gehälter mit den Preisen für Lebenshaltung noch nicht in Einklang kommen.
(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.)
Das Aufreizende ist, daß wir noch immer nicht am Ende der Preissteigerung sind. Gegenüber diesen Tatsachen gibt es kein
Verschleiern. Es muß da, wo Wucher und skrupellose Ausnutzung der Notlage des Volkes vorliegt, eingegriffen werden, es
muß rücksichtslos gegen diejenigen vorgegangen werden, die aus der Notlage des Volkes reiche Gewinne ziehen.
(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.)
Während des Krieges hat die Landwirtschaft wiederholt betont, sie werde dafür Sorge tragen, eine unmittelbare Verbindung
zwischen Produzenten und Verbraucher herbeizuführen und alle Bestrebungen unterstützen, die das Ziel haben, übermäßige
Preistreibereien in den Zwischenstufen des Handels unmöglich zu machen. Ich spreche die Hoffnung aus, daß die Landwirtschaft
nun auch wirklich mit Ernst an diese Aufgabe herangeht und damit den Beschwerden entgegentritt, die auch jetzt wieder von
seiten der Verbraucher erhoben werden, daß nämlich die Erfüllung dieses Versprechens zu wünschen übrig lasse.
(Beifall links.)
vorige
|
Vizepräsident Dr. Bell: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Remmele
Remmele, Abgeordneter:10 Die zweitägige Debatte in diesem Haus hat zweifellos ergeben, daß wir in Deutschland in der
Ernährungsfrage, dem wichtigsten Problem des deutschen Volkes, vor dem vollkommenen Zusammenbruch und Bankrott stehen.
Das wird von keiner Seite dieses Hauses, selbst nicht von der äußersten Rechten, bestritten. Über diese Tatsache helfen
auch die Beschwichtigungsreden des Herrn Ministers Hermes durchaus nicht hinweg. Ich werde noch auf die Ausführungen,
die er zuletzt gemacht hat, bei späterer Gelegenheit eingehen; vor allen Dingen wollen wir aber feststellen, daß hier
selbst aus bürgerlichem Munde die Tatsache bezeichnet wurde, daß wir im Jahre 1921 in der Ernährung des Volkes schlimmer
gestellt sind als in den schwersten Kriegsjahren. Ich meine, das will allerhand bedeuten. Es war der Vertreter des Zentrum,
der diese Feststellung machte.
Über die furchtbare Lage, in der sich das deutsche Volk befindet, besteht also in diesem Hause kein Streit. Der Streit,
der ausgefochten wird, geht nur um die Frage: wer ist schuld an der Ernährungskatastrophe, in der wir uns befinden? Über
die Schuldfrage ist sich selbst die kleinbürgerliche Regierung nicht einig und nicht im klaren. .Die Sozialdemokratie
läßt durch den Abgeordneten Krätzig eine geharnischte Kriegserklärung an die Junker ergehen. Er wirft den Junkern
Egoismus und Habsucht vor, in denen diese Bankrottwirtschaft der Volksernährung begründet liege. Aber diese Sozialdemokratie
sitzt in der Regierung, die mit dem Landwirtschaftsminister einen sehr nahen Verwandten dieser Junker stellt; denn Herr
Hermes hat sich vollständig als das entpuppt, was er ist. Man brauchte am vorigen Freitag nur zu beobachten, wie die
Rede des Herrn Minister Hermes von der lebhaftesten Zustimmung der äußersten Rechten begleitet wurde.
(Zuruf von der Deutschen Volkspartei.)
Das Zentrum, die andere Koalitionspartei, ließ durch Herrn Schlack kniefällig die Junker in diesem Hause bitten, daß sie doch von
ihrem Egoismus ablassen sollten. Es war eine Bußpredigt, die das Zentrum an die Landwirte ergehen ließ.
Ich sagte schon, daß die Freiheit die Sie (nach rechts) meinen, Ihre freie Wirtschaft nichts anderes ist als die Knechtung der
breiten Massen des deutschen Volkes und daß wir Ursache haben, gegen diese Freiheit anzukämpfen. 11
Worin Ihre Freiheit besteht und welche Mittel die deutschen Junker anwenden, um sich gegenüber der Regierung und gegenüber
den anderen Gesellschaftsklassen durchzusetzen, das beweisen ja die Dokumente, die in der letzten Zeit über den
Reichslandbund bekannt geworden sind. Ich bin davon überzeugt, daß diese Schriftstücke auch Ihnen nicht fremd sind. Aber ich
will sie, damit sie in den Drucksachen des Reichstags verewigt werden, um später die Geschichte der Klassenkämpfe in
Deutschland dokumentarisch zu
10S. 5027D
11S. 5030C
nächste
|