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Damals wäre vielleicht die Gelegenheit gewesen, die Flaggen auf Halbmast zu setzen.
(Sehr wahr! auf der äußersten Linken.)
Von da ab hat sich alles andere durchaus zwangsläufig entwickelt.
(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)
Der Friedensvertrag ist das natürliche Ergebnis des verlorenen Krieges gewesen. Die Bedingungen des Friedensvertrages sind
solche, wie sie der siegreiche Imperialismus dem Besiegten auferlegt. Dieser Imperialismus kennt kein anderes Motto als
"Wehe den Besiegten!" Er übt eine Gerechtigkeit, wie er sie versteht. Er ist nicht imstande, die Grundlagen zu einem dauernden
Frieden zu legen, da er nie das Interesse des arbeitenden Volkes, sondern ausschließlich das Interesse der Kapitalisten, der
Industrie, der Banken usw. im Auge hat. Dieser Imperialismus mag noch so salbungsvoll die Gerechtigkeit im Munde führen, in
Wirklichkeit kennt er nur die Macht und die Gewalt.
Gegen diese Politik, wo immer sie betrieben werden mag, ob in Deutschland oder Frankreich oder in England, setzt sich
die sozialistische Arbeiterschaft zur Wehr. Aber sie weiß, daß weder Demonstrationen noch der von den Rechten geforderte
aktive oder passive Widerstand irgend etwas für uns erreichen können. Sie weiß, daß nur etwas erreicht werden kann,
wenn diesem Imperialismus, wenn dieser Gewaltpolitik die Grundlage entzogen werden durch die Änderung des Wirtschaftssystems,
auf dem er beruht,
(sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten)
die Grundlagen entzogen werden durch die Überwindung des Kapitalismus durch den Sozialismus.
Herr Hergt hat ja andere Vorschläge gemacht. Mit größter Begeisterung hat er von der Irredenta gesprochen, die jetzt in
dem abgetretenen Teil von Deutschland die Herrschaft antreten müsse. Das Beispiel der Italiener sei nachzuahmen. Er will
Gewalt, die er doch zu verurteilen schien, mit Gewalt beantworten. Glaubt er, daß eine solche Irredenta einen praktischen
Erfolg haben würde? Opfer würden fallen, ungeheuer an Zahl. Das würde die einzige Wirkung sein.
Dann hat derselbe Herr Hergt gemeint, wenn diese Irredenta nun Platz greife und sich rühre, dann habe sie sich zu
berufen auf das göttliche Recht der deutschen Oberschlesier, die von Deutschland nicht getrennt werden wollen. Ach,
meine Herren von der Rechten, Sie sind die letzten, die den Anspruch erheben können, sich auf das göttliche Recht zu berufen.
(Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)
Wo war das göttliche Recht, als Sie während des Krieges die Annexion von Belgien forderten? Haben Sie da nach dem göttlichen
Recht des belgischen Volkes gefragt? Haben Sie nicht ganz ohne Rücksicht auf Recht und auf Willen und auf Wunschäußerungen des
belgischen Volkes Belgien fest in die deutsche Hand bekommen wollen?
Nun, ich habe einen Kronzeugen gegen Herrn Hergt, daß ist der Kollege und Fraktionsgenosse des
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Herrn Hergt, der Herr Abgeordnete Mumm, der, wie ich glaube, besonders gut mit göttlichem Recht Bescheid wissen muß.
(Heiterkeit links.)
Herr Mumm hat im Krieg einmal in der Budgetkommission gefordert, daß wir Annexionen im Osten und Westen machen müßten.
Auf Zwischenrufe von links, die da sagten: auf Grund welchen Rechtes sollen wir die Annexionen machen? erwiderte der Kenner
göttlichen Rechtes, Herr Mumm: auf Grund des ersten und ältesten Rechtes der Erde, des Rechtes der Eroberung.
(Hört! Hört! und Lachen links.)
Während des Krieges galt das Recht der Eroberung, und nach dem Kriege, nachdem der Krieg für uns ungünstig ausgegangen ist,
wird von denselben Parteien, von denselben Personen das göttliche Recht propagiert.
Nein, meine Herren, auf diesem Wege können wir Ihnen nicht folgen.
Nun hat die Volksabstimmung in Oberschlesien 27 keine Mehrheit für Polen ergeben, aber eine große Zahl von polnischen
Stimmen, auf die gestützt jetzt die Entente die Teilung Oberschlesiens vornimmt. Haben Sie sich zuweilen auch einmal
die Frage vorgelegt, meine Herren, woher es denn kommt, daß in diesem Lande, von dem eben noch Herr Abgeordneter Kahl
sagte, daß es ursprünglich urdeutsch sei, daß seit Jahrhunderten der deutsche Gedanke dort gelebt habe - woher es denn
kommt, daß dort so viele polnische Stimmen abgegeben worden sind? Sind Sie naiv genug anzunehmen, daß das nur auf der
Wahlbeeinflussung und den Terrorismus der Polen zurückzuführen sei? Ich glaube, der schlimmste Terrorismus vermag es
nicht zu erreichen, daß so gewaltige Massen ihre Stimme für einen Staat abgeben, von dem sie selbst tagtäglich sehen,
in wie ungeheuren wirtschaftlichen Schwierigkeiten er sich befindet? Nein. Es ist vielleicht gut, daß Sie sich einmal
daran erinnern, welches die Polenpolitik der Vergangenheit gewesen ist, daß Sie sich daran erinnern, welche Saat der
Hakatismus in Preußen gelegt hat, und daß viele, die jetzt bei der Volksabstimmung polnisch gewählt haben, sich nicht
sowohl für die Republik Polen ausgesprochen haben, als gegen die alte preußische Politik, gegen die Politik der Entrechtung,
gegen die Politik der Enteignung, gegen die Politik der Unterdrückung.
(Sehr wahr! auf der äußersten Linken.)
Es ist die Saat des Hakatismus, die hier verhängnisvoll für das gesamte deutsche Volk aufgegangen ist.
(Sehr wahr! auf der äußersten Linken.)
Und weiter: was hat man getan, um diese Stimmen und vor allen Dingen die Stimmen der oberschlesischen Arbeiter für die deutsche
Sache zu gewinnen? An Propaganda hat es nicht gefehlt, und an Propaganda hat's umso weniger gefehlt, als es ja an Geld nicht gefehlt hat.
Eine Propaganda ist von beiden Seiten getrieben worden, die dieses Oberschlesien mit der Zeit zu einem Herd der Korruption gemacht hat.
Eine Propaganda ist getrieben worden, bei der Mittel nicht gespart wurden, bei der diese Mittel aber angewendet worden sind, für
durchaus falsche und für durchaus abwegige Ideen. Sie (nach rechts) sind dahingegangen und haben erzählt von der deutschen Kultur,
die doch besser sei als die elende polnische Kultur. Sie sind zu den Arbeitern gegangen, um ihnen klar zu machen: seht
27S. 4854C
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