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jeder kümmern muß. Keiner der beiden entscheidenden schlesischen Friedensschlüsse von 1742 und 1763 enthält auch nur ein Wort,
eine Silbe, eine Andeutung über ältere Besitzrechte Polens.
(Sehr richtig! bei der Deutschen Volkspartei.)
Damals hat man objektiver die Weltgeschichte betrachtet. Als Oberschlesiens Schicksal in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts
in das Schicksal Preußens einmündete, war Schlesien eben schon seit einem halben Jahrtausend deutsches Land. Vor dieser Zeit,
von 999 bis 1163, liegen die Besitzjahre von Polen, später nicht mehr. Seit dem 13. Jahrhundert fließen ununterbrochen die Ströme
und Gegenströme wirtschaftlichen, geistigen, kulturellen Lebens hin und her. Seit dem 13. Jahrhundert wird die deutsche Sprache
Kirchensprache. Die förmliche Einverleibung Schlesiens in den preußischen Staat auf Grund der genannten Friedensschlüsse war
nicht der Anfang, sondern die Fortsetzung einer Jahrhunderte zurückgelegenen wirtschaftlichen und kulturellen Gemeinschaft.
(Lebhafte Zustimmung rechts.)
An alledem, was inzwischen geschehen ist, was daraus geworden ist, hat Polen niemals einen führenden Anteil gehabt. Anteil
natürlich, aber niemals einen führenden, sondern alle diese Erfolge waren und sind ausschließlich das Werk deutschen Fleißes,
deutschen Kapitals, deutschen Unternehmergeistes.
Wie der englische Premierminister das Ergebnis von Genf und Paris mit seinem "Fair play" vereinigen kann, ist seine
Angelegenheit. Daß auch wir uns unsere Gedanken darüber machen, kann er nicht verhindern und kann er uns nicht verübeln.
Ich darf ihn und Sie daran erinnern, daß aus dem Munde von Lloyd George das Wort geflossen ist: Vergeßt nicht, daß Oberschlesien
länger deutsch ist als die Normandie französisch!
(Stürmische Rufe rechts: Hört! Hört!)
Es hat doch offenbar eine Zeit gegeben, in der auch er vom Rechte Deutschlands an Oberschlesien überzeugt war.
(Zuruf von der deutschen Volkspartei: Auch heute noch!)
Wo sollen wir also Hilfe hoffen?24 Sollen wir hoffen, daß in einem späteren Stadium der Entwicklung der Gedanke der Selbstbestimmung
der Völker in reiner gestalt zur Durchführung kommt als gegenwärtig? Die Hoffung besteht ja auch heute schon.Schon jetzt wurde der
Gedanke einer erneuten Abstimmung, der auch heute einmal erwähnt worden ist, in das problem hineingeworfen. Er ist sicher verfrüht.
Aber der Gedanke des Rechts der Selbstbestimmung der Völker wird bleiben. Vorläufig wird das Recht der Selbstbestimmung der Völker
immer und überall nur da aberkannt, wo es gegen Deutschland ausschlägt.
(Sehr richtig! rechts.)
Noch einmal: wo ist Hilfe? Die Hilfe kann nur von einer innerlichen Wandlung kommen, wenn der Gerechtigkeitssinn der Welt
wieder zurückgekehrt ist. Der Trost klingt ja gering; aber auf diesen Tag müssen wir mit Stärke harren. Ich halte es mit dem Satz des
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griechischen Weltweisen: es hätte keinen Sinn mehr, daß Menschen auf Erden leben, wenn die Gerechtigkeit unterginge.
(Lebhafter Beifall rechts.)
Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Breitscheid.
Dr. Breitscheid, Abgeordneter: Meine Damen und Herren!25 Die Nationalversammlung und der Reichstag haben sich
leider schon allzu oft einer ähnlichen Situation gegenüber gesehen wie der, die uns heute beschäftigt. Beiden Häusern
boten sich oft genug Anlässe, über das Schicksal des deutschen Volkes Klage zu führen und gegen diejenigen Anklagen
zu erheben, die die Schuld an unseren Leiden tragen. Auch meine Freunde haben sich dabei nicht ausgeschlossen, wenn
auch ihre Meinungen über die Urheber und Ursachen unserer Not vielfach von denen abgewichen sind und abweichen, die
die Schuldigen nur außerhalb unserer Grenzen, die Schuld nur in der Niedertracht und Beutegier der sogenannten Feinde suchen.
So empfinden wir auch heute mit allen Schichten des deutschen Volkes den tiefen Schmerz über den Verlust eines Landes,
das, wenn auch seine Bewohner eine andere Sprache sprechen als wir, durch mannigfache Bande mit Deutschland verknüpft
gewesen ist. Uns berührt es nahe, daß rein deutsche Gemeinden, in denen die große Mehrheit der Bewohner ihre Stimme bei
der Volksabstimmung für Deutschland abgegeben hat, an einen fremden Staat fallen, einen Staat, der uns noch dazu nicht
die Sicherheit bietet, daß er seinen neuen Bürgern ein einigermaßen wohnliches Heim zu bereiten vermag.
Wir haben heute gehört,26 daß der Herr Abgeordnete Hergt Klage darüber führt, daß der Herr Reichskanzler gelegentlich
einem amerikanischen Journalisten gegenüber gesagt habe, das deutsche Volk würde sich mit dem Verlust von Pleß und
Rybnik abgefunden haben. Herr Hergt erklärt: niemand im deutschen Volke hat sich damit abgefunden, daß wir einen Teil
von Oberschlesien verlieren würden, und wir haben aus dem Munde des Herrn Abgeordneten Kahl gehört, daß mit dem Verlust
eines Teils von Oberschlesien in der Tat hätte gerechnet werden müssen.
(Hört! Hört! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)
Warum sind diese Tatsachen nicht von Anfang an klar herausgearbeitet worden? Warum hat man immer geglaubt, dadurch, daß man die
Dinge anders darstellt, als sie nach der Rechtslage waren, eine Stimmung zu entfachen, die als national gilt, die in Wirklichkeit
aber zur Folge haben muß, daß natürlich die Enttäuschung und die Verbitterung des deutschen Volkes besonders lebhafte Wellen schlug?
(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)
Meine Damen und Herren! Was wir heute verloren haben, das haben wir verloren, als der General Ludendorff in richtiger
Erkenntnis seines Bankerottes die deutsche Regierung drängte, den Waffenstillstand abzuschließen.
(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten und bei den Kommunisten.)
25 S. 4753A
26 S. 4753C
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