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Aussicht, die Produktionsstätten, die in Deutschland notwendig waren, wenn man überhaupt an eine Erfüllung herangehen wollte,
zu behalten. Heute ist das alles anders. Jetzt handelt es sich um einen Rechtsbruch der schlimmsten Art in der Sache selbst,
nicht bloß in den Drohungen mit Gewalt. Jetzt wird uns Land geraubt, jetzt werden uns treue Deutsche entrissen, jetzt entzieht
man uns die ersten Produktionsgrundlagen, ohne die an eine Erfüllung des Ultimatums überhaupt nicht mehr zu denken ist.
(Lebhafte Zustimmung rechts.)
Wenn es danach so viel schlimmer liegt, als seinerzeit beim Ultimatum, dann müßte die damalige Minderheit, die sich für
die Ablehnung des Ultimatums ausgesprochen hat, heute nach unserer Auffassung zu einer gewaltigen Mehrheit in diesem Hause geworden sein.
(Sehr richtig! rechts.)
Meine Damen und Herren!18 Nicht bloß Gemeinschaft im Volkstum, nicht bloß Kulturgemeinschaft wollen wir mit den Oberschlesiern,
die von uns gerissen werden, pflegen, sondern politische Gemeinschaft; das ist jetzt das Ziel!
(Lebhafte Zustimmung rechts.)
Und dieses Aussprechen des Zieles,19 die Wiederherstellung der politischen Gemeinschaft, dieses offene Bekennen zu diesem Ziel
als dem vornehmsten, dem für die ganze auswärtige Politik Deutschlands von nun an maßgebenden Ziel, das ist die Aufgabe des
Reichstags zugunsten von Westpreußen und der anderen entrissenen Gebiete, die sich heute wieder melden und sagen: auch wir sind
durch Gewalt, durch Vertragsbruch von euch gerissen worden!
(Lebhafte Zustimmung rechts.)
Die anderen Völker nennen das Irredenta. Das Wort gewinnt heute für uns seine Bedeutung.
(Lebhafter Beifall rechts.)
Wie die Franzosen in Bordeaux,
(Zuruf von den Kommunisten: Ihr Verbrecher, Ihr seid die Schuldigen!)
wie die Italiener es uns vorgemacht haben, so müssen wir es heute ihnen nachmachen. Es ist unser natürlicher Drang nach Wiederherstellung
dessen, was kraft göttlichen und menschlichen Rechts das Unsere war.
(Lebhafter anhaltender Beifall rechts.)
Nein, Meine Damen und Herren!20 Dieses Erfüllungsprogramm, wie es bisher vertreten worden ist, muß jetzt auch vom Standpunkte
derjenigen, die es bisher vertreten haben, altes Eisen geworden sein und
(Sehr richtig! bei den Deutschnationalen.)
muß durch ein völlig neues Erfüllungsprogramm ersetzt werden. Dieses neue Erfüllungsprogramm21 muß davon ausgehen, daß man offen
und ehrlich den Gegnern die wahre Situation Deutschlands auseinanderlegt und daraus die gegebenen Konsequenzen zieht.
(Lachen bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)
18S. 4746D
19S. 4747A
20S. 4747D
21S. 4748A
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Ich sage, die alte Politik soll offenbar weiter beliebt werden. Was haben wir von dieser alten Politik in den fünf Monaten
erlebt? Die Ultimatumsregierung fand ihre Rechtfertigung und ihre Stärke nicht im eigenen Tun, nicht in der Vertrauensstellung
zum eigenen deutschen Volke, sondern ausschließlich in der Hoffnung auf ein Entgegenkommen des Gegners, der durch Zugeständnisse
günstig gestimmt werden sollte. Sie war auf die Hoffnung abgestellt, Oberschlesien zu erhalten. Ein völliges Fiasko hat diese
Ultimatumsregierung erlitten.
(Sehr richtig! bei den Deutschnationalen.)
Die Nichtaufhebung der Militärsanktionen, die Einrichtung der Kontrollkommission bei den wirtschaftlichen Sanktionen, die
Entscheidung über Oberschlesien, das alles sind Marksteine des völligen Zusammenbruchs der Ultimatumsregierung.
In der Kette der Mißerfolge reiht sich das, ich möchte sagen, unglückselige Rathenau-Abkommen hinein, über das heute
alle Sachverständigen einig sind, daß es nicht zum Segen unseres deutschen Vaterlandes geschlossen worden ist,
(Zustimmung bei den Deutschnationalen)
und nach unserer Auffassung hat der Reichstag nunmehr alle Veranlassung, dieses Abkommen endlich einmal vor sein Forum zu
ziehen und einer Gründlichen Nachprüfung zu unterziehen.
(Sehr richtig! bei den Deutschnationalen.)
Präsident: Meine Damen und Herren! Es wird mir von Mitgliedern des Präsidiums bestätigt, daß der Herr Abgeordnete Malzahn,
auf die Bänke dieses Hauses weisend, zwischengerufen hat: "Ihr Verbrecher, Ihr seid die Schuldigen."
(Sehr wahr! bei den Kommunisten.)
Für diesen ganz unerhörten Zwischenruf rufe ich ihn zur Ordnung.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kahl. 22
Dr. Kahl, Abgeordneter: Meine Herren! Daß der Spruch so ausfallen würde, konnte der größte Pessimist nicht
glauben.23 Daß er im einseitigen Interesse ausgefallen ist, dafür gibt es doch wohl keinen besseren Beweis als die
freudige und sofortige Aufnahme, die die Entscheidung innerhalb Polens gefunden hat.
(Sehr wahr! bei der Deutschen Volkspartei.)
Die Art und Weise, wie von der Botschafterkonferenz entschieden worden ist, muß unser Vertrauen zum Völkerbund, das ohnehin
immer nur ein ganz schwaches war, noch weiter erschüttern, ja vernichten,
(Zustimmung bei der Deutschen Volkspartei)
wenn wir sehen, daß dort auch nicht die geringste Kenntnis über die geschichtlichen Verhältnisse derjenigen Völker vorhanden
ist, über deren Schicksal man das Entscheidungsrecht in Anspruch nimmt.
(Lebhafte Zustimmung bei der Deutschen Volkspartei.)
Kein Volk kann mit vollkommener Unbefangenheit die geschichtliche Entwicklung eines anderen Volkes beurteilen. Aber in
diesem Falle lagen in der Tat sonnenklare weltgeschichtliche Beweise vor, um die sich
22S. 4748D
23S. 4752A
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