1. Reichstag, Weimarer Republik


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Beschimpfungen, die nicht bei den persönlichen Verunglimpfungen und bei dem persönlichen Unrecht, das sie den Vertretern der Regierung zufügen, Unrecht und Schädlichkeit erschöpfen, sondern die gerade bei einfach denkenden und einfach fühlenden Menschen zu einer schweren Schädigung des Reichsgedankens selber führen und notwendigerweise führen müssen.

(Sehr richtig! bei den deutschen Demokraten.)

Sie erfahren das im täglichen Kampf.

(Zuruf rechts.)

- Kein Wort der Schmähung über die Hohenzollern! Das sei fern von uns. Weisen Sie uns nein Wort davon nach! Aber bitte, weisen Sie uns auch nach, wo Sie sich gegen diese ständigen - erlauben Sie mir das Wort - pöbelhaften, geistlosen, verhetzenden Aufwiegelungen und Beschimpfungen der Reichsregierung gewehrt haben! Zeigen Sie mir den Graben, der zwischen Ihnen und denen liegt, die vielleicht nicht hier sitzen, aber noch weiter drüben auf der äußersten rechten, und von denen Sie vielleicht doch so manchen sich in den Pferch treiben ließen und lassen.

(Sehr gut! bei den Deutschen Demokraten.)

Sie (nach links) wollen Sühne. 24 Auch wir alle wollen, daß die ruchlose Tat gesühnt werde. Das ist Sache der Gerichte. Darüber hinaus wollen wir etwas Größeres als Sühne, wir wollen Versöhnung,

(bravo! Bei den Deutschen Demokraten.)

wollen Versöhnung all derer, denen es ehrlich ist um Staat und Volk. Wir werden das unsere dazu beitragen, 25 wie es unsere bescheidene Zahl ermöglicht. Wer ehrlich und wer guten Willens ist, möge sich mit uns auf diese Linie der Versöhnung, die Linie der Einheit von Staat und ganzem Volke stellen.

(Lebhafter Beifall bei den Deutschen Demokraten.)

Vizepräsident Dr. Bell: das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Pfeiffer.

Dr. Pfeiffer, Abgeordneter: Hoher Reichstag! 26 Der Anlaß zu dieser Interpellation ist der traurige Vorfall, daß der führende Abgeordnete einer politischen Partei einem Attentat zum Opfer gefallen ist. Meine politischen Freunde, die Zentrumspartei, bezeugen der betreffenden Partei ihr Beileid in Achtung der menschlichen Eigenschaften des Ermordeten und in Ansehung des traurigen Todes eines ihr wertvollen Mannes. Meine Damen und Herren! 27 Die Herren Interpellanten sagen in ihrer Befragung der Reichsregierung, es stehe fest, daß das Verbrechen angestiftet worden sei von den monarchistisch-militärischen Kreisen. Uns sind Beweise nicht bekannt, die diese Feststellung erhärten. Wir wissen nur,

(Zuruf von den Vereinigten Kommunisten)

daß auch andere Vermutungen in die Öffentlichkeit getragen werden. Wenn die Untersuchung persönliche Motive dieses Mordes erweist, so werden wir - das darf ich wohl ohne


24S.3997B
25S.3997C
26S.4000B
27S.4000C

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Ansehung der Partei sagen - alle erleichtert aufatmen. Wenn aber ein beklagenswertes Schicksal es fügt, daß wirklich politische Motive die Detonation des unheilvollen Revolvers herbeigeführt haben, dann ist freilich der Augenblick da, wo der Kampf um die Leiche dieses Führers dem öffentlichen Leben in Deutschland unabsehbaren Schaden und Abtrag tun muß.

(Sehr richtig! im Zentrum.)

Wenn wir, meine Damen und Herren, in der Überhitzung des politischen Kampfes dazu kommen sollten, daß im Streite der Geister die Leiber der Kämpfer niedergestreckt werden, dann wäre der Bankrott der Nation eingeleitet, dann würde das ein Elendszeugnis für alle unsere Volksgenossen sein, das uns an die Seite minderwertiger, unkultivierter, in Rohheit und Barbareien verstrickter Flibustierstaaten stellt.

(Sehr wahr! im Zentrum.)

Als bei der Revolution des Jahres 1918 Bayern 28 sich in die Hand landfremder Leute gegeben sah, war naturgemäß zunächst ein allgemeiner Niederbruch der Stimmung zu verzeichnen. Wieweit Versäumnisse, Unachtsamkeit, völkischer Optimismus oder Fahrlässigkeit seitens der damals verantwortlichen Staatslenker dabei mitgespielt hat, will ich hier nicht untersuchen.

(Sehr richtig! Im Zentrum.)

Es kam der traurige Fall der Ermordung des Ministerpräsidenten Eisner, es kam das Schreckensregiment der Räterepublik des Frühjahrs, des April 1919 und der Geiselmord.

Meine Damen und Herren! Bei diesen Bewegungen hat es sich gezeigt, wie in jeder Bewegung revolutionärer Art, daß drei Klassen von Menschen am Werke waren: Ideologen, die aus Gründen der Welterlösung ihre Kraft eingesetzt haben; politisch zielbewußte Männer, die eine neue Staats- und Wirtschaftsordnung einführen wollten, und reichlich, in zu reichlichem Maße, verbrecherische Elemente, besonders in München, die sich ja bekanntlich überall da einstellen, wo Verwirrung ausbricht, wo neue Dinge geformt werden sollen, ohne Ansehen dessen, wohin die Bewegung getrieben werden soll, und die in Zeiten der Klärung wieder spurlos dahin verschwinden, woher sie gekommen sind. Und in München waren zum guten Teil notorische Narren mit am Ruder.

(Zuruf von den Vereinigten Kommunisten: Wie bei Kriegsausbruch!)

- Es ist notorisch bekannt, Herr Kollege Hoffmann! - Unter den Führern der Bewegung in Bayern war auch eine Anzahl von Männern jüdischen Stammes, und, wie ihren eigenen Parteifreunden geschienen hat, manchmal etwas viele. Ihre Motive habe ich nicht aufzuklären und nicht zu untersuchen. Ich kann mir vorstellen, daß es - wenn ich so sagen darf - vielleicht ghettogeborener Befreiungsdrang gewesen ist, vielleicht ideologischer Erlösungstrieb, der sie geleitet und an die Spitze der Bewegung geführt hat. Aber das eine meine ich doch, daß ein Blutbad aller Widerstrebenden doch nicht die Heilquelle zur Gesundung der Zeitgenossen sein konnte.

(Sehr richtig! bei der bayrischen Volkspartei und im Zentrum.)


28S. 4001A

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