1. Reichstag, Weimarer Republik


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der Tat. Zahlreiche Vermutungen brachten ihn rasch in Verbindung mit politischen Begründungen. Auf Vermutungen folgten Gegenvermutungen. Sie wissen ja, von was allem geredet wird. Das Tollste ist wohl die unglaubliche Behauptung, daß, da Gareis eben in einer Versammlung gegen die Verkirchlichung der Schule und die Kirche gesprochen hatte, es nicht ausgeschlossen erscheine, daß er von einem besonders glaubenseifrigen Katholiken niedergeschossen worden wäre.

(Hört! Hört! rechts. - Pfuirufe im Zentrum.)

Sie sehen, meine Herren und Frauen, bis zu welchen Niederungen man auf dem Wege ungezügelter Vermutungen kommt.

(Sehr richtig! rechts.)

Aber die Wahrheit ist einfach und schmerzlich. Die Wahrheit lautet: non liquet, und das nicht als eine leere Verlegenheitsphrase, sondern als ein Wort, das Achtung und Schweigen heischt.

(Sehr richtig! rechts.)

Der Mord kann politischen Ursprungs sein, 19 er kann aber auch von ganz anderwärts kommen. Über die Prozentsätze der Wahrscheinlichkeit zu sprechen, ist sinnlos. Wenn wir uns über die politische Atmosphäre unterhalten, so dürfen wir nicht unterstellen, als sei der politische Ursprung des Mordes erwiesen. So handelt es sich um den Hintergrund, aus dem der Mord faktisch und erwiesenermaßen kam, sondern wir befassen uns mit dem Hintergrund, mit der Umwelt, mit der er nun hypothetisch in Beziehung gebracht wird und leider bis zu einem gewissen Grade hypothetisch gebracht werden kann. Herr Unterleitner ist auch bei der Schilderung dieses Hintergrundes sehr einseitig gewesen. 20 Er hat sich ab und zu bemüht, Parteien gerecht zu werden; Personen und den Tatsachen wurde er nicht gerecht. Was ist das zum Beispiel für ein Missbrauch der Tribüne des Reichstags, aber vordem auch ein Mißbrauch der Presse gewesen, wenn die Darstellung der "Münchener Post" erneut wiedergegeben wurde, die ein angeblich belauschtes Gespräch ungenannter Studenten an ungenanntem Ort zu ungenannter Zeit von einem ungenannten Gewährsmann erhielt

(hört! hört! bei den deutschen Demokraten)

ein Gespräch, in dem jene sich über die Kommunisten geäußert haben sollen, die keine Deutschen seien und an die Wand gestellt und kaltgemacht werden müßten! Meine Herren und Damen, dieses Gerücht geht nun durch Ihre Presse, als ob es absolut feststünde, als ob es Faktum wäre, daß der und jener, nicht irgendein hergelaufener, sondern ein maßgeblicher Vertreter einer politischen Gesamtstimmung dies die beglaubigtermaßen da und dort gesagt habe, und das, meine Herren, ist mindestens eine lässliche Sünde an der Wahrheit. Die Revolution war in Bayern volksfremder und unwürdiger als irgendwo anders in deutschen Landen.

(Sehr richtig! bei den Deutschen Demokraten und rechts.)

Die Räteherrschaft war eine Herrschaft des schlimmsten Pöbels. 21 Daraus kam das Bedürfnis und der Gedanke des


19S.3992C
20S.3992D
21S.3993C

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Selbstschutzes. Es folgte der Kapp-Putsch, es folgte der Aufruhr im Westen. Eine ganze Partei in Deutschland begab sich in die Abhängigkeit von Moskau, proklamierte Revolution als Dauerzustand und Selbstzweck, Unterdrückung und Entwaffnung der Bourgeoisie, Bewaffnung des Proletariats. Und das Zusammenwirken der kommunistischen Gefahr von innen mit der bolschewistischen Gefahr von außen war doch vor nicht sehr langer Zeit noch nicht außerhalb des Bereiches ernster Möglichkeit gerückt.

(Sehr richtig! im Zentrum und bei der Deutschen Volkspartei.)

Verstehen Sie, meine Herren, daß damit Sie selbst diesen Gedanken des Selbstschutzes so stark gemacht haben gerade in Bayern?

(Sehr wahr! bei den Deutschen Demokraten und bei der Deutschen Volkspartei.)

Erlauben Sie mir, meine Herren von der rechten, doch auch zur Rede des Herrn Bazille, der so sprach, als sei seine Partei böswillig aus dem Hinterhalt überfallen worden, ein paar Fragen: Was haben Sie zur Befriedung der öffentlichen Meinung bei uns in Bayern und anderwärts beigetragen,

(sehr gut! bei den Deutschen Demokraten)

um den Radauantisemitismus der mit die schlimmste und furchtbarste Grundlage der blöden, böswilligen Hetze gegen Reich und Reichsregierung ist, auszurotten,

(lebhafte Zustimmung bei den Deutschen Demokraten)

den Radauantisemitismus, 22 der ehrfurchtslos, jedem dümmsten Lausbuben die letzte Antwort auf tiefste Menschheitsfragen in die Hand gibt,

(lebhafte Zustimmung bei den Deutschen Demokraten.)

der sich das Recht nimmt, einen ganzen Stamm zu mißachten, unterschiedslos, der mit uns Freud und Leid, das Schicksal von Jahrhunderten und die Gemeinschaft schwerster Blutopfer getragen hat,

(sehr gut! bei den Deutschen Demokraten)

ohne Achtung vor dem, was deutsche Wirtschaft und Wissenschaft auch Männern, die von dort ihren Ursprung nahmen, zu danken haben.

(Sehr gut! bei den Deutschen Demokraten)

Ist es nicht eine Schuld, solche Hetze zu dulden; eine Schuld, sie auch nur zu dulden - eine schwere Schuld, sie als Bundesgenossen und als Nutznießer zu dulden?

(Sehr gut! bei den Deutschen Demokraten.)

Es ist über ein Jahr her, daß der Wahlkampf hinter uns liegt, in dem in ganz Bayern Plakate angeschlagen waren mit den Köpfen Lenin und Trotzkis, Lewin und Lewine- Riessen und Axelrod, und in denen unter dem Zeichen des Sowjetsterns und des Hakenkreuzes gegenübergestellt waren, die Sozialdemokratie und die Demokratie auf der einen Seite, die Deutschnationalen und die Deutschvölkischen auf der anderen Seite!

(Hört! Hört! bei den Deutschen Demokraten und links.)

Was ist seitdem zur besseren Einsicht geschehen? Meine Herren, ich frage aber weiter: was ist auf Ihrer Seite (nach rechts) geschehen gegen die unabläßlichen wüßten Beschimpfungen der Reichsregierung, 23

(sehr richtig! bei den Deutschen Demokraten.)


22S.3996A/B
23S.3996C/D

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