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Die Stunde, in der der Herr Reichskanzler sprach, 12 war eine der schwärzesten Stunden der deutschen Republik,
(sehr wahr! Bei den Deutschnationalen.)
und auch die völlige Gewißheit, daß diese Republik an ihren Sünden ohne Maß und Zahl dahinsterben wird,
(Lachen links)
kann uns mit dieser Stunde nicht versöhnen.
(Zurufe links.)
Einer Regierung, die das Ultimatum unterschrieben hat, 13 nachdem sie es einen Monat vorher als unerfüllbar und unvereinbar
mit der Ehre, der Sicherheit und den Lebensnotwendigkeiten des deutschen Volkes erklärt hat, konnten wir unser Vertrauen
nicht aussprechen. Selbst die fähigste Regierung kann nicht möglich machen, was unmöglich ist. Nach der letzten Rede des
Herrn Reichskanzlers kann man nur noch die schreckliche Überzeugung haben, daß man die Zukunft des deutschen Volkes, wie
sie sich unter seiner Führung gestalten wird, nicht düster genug ansehen kann.
(Sehr richtig! bei den Deutschnationalen.)
Ich hätte mir deshalb gewünscht, mein Gewissen hätte mir erlaubt, mit einem anderen Urteil zu schließen.
(Lebhaftes Bravo bei den Deutschnationalen.)
Präsident: das Wort hat der Herr Abgeordnete
v. Schoch. 14
v. Schoch, Abgeordneter: Meine Damen und Herren! Ein paar Worte zur Rede des Herrn Reichskanzlers. 15 Der Herr Reichskanzler
hat am Freitag den Interpellanten das denkbar größte Entgegenkommen gezeigt. Das ist begreiflich und verzeihlich. Aber je
länger wir seinen Ausführungen lauschten, desto mehr wuchs in unseren Reihen das Erstaunen und mußte sich schließlich geradezu
zum Befremden steigern. Der Herr Reichskanzler hat zu Eingangs seiner Rede den Grundsatz aufgestellt, daß man in ein schwebendes
Verfahren nicht eingreifen dürfe. Mir ist unwillkürlich bei dem späteren Verhalten des Herrn Reichskanzlers eine Szene aus den
"Meistersingern" eingefallen. Da fragt der Herr Walter Stolzinger den Hans Sachs: "Wie fang ich nach der Regel an?" Und Hans
Sachs antwortet ihm dann: "Ihr stellt sie und befolgt sie dann." Jawohl, der Herr Kanzler hat allerdings eine Regel gestellt.
Befolgt hat er sie aber weiß Gott nicht.
(Lebhafte Zustimmung rechts.)
Denn gerade diese Regel, die der Herr Reichskanzler aufgestellt hat, die mußte nach meiner Meinung das allein beherrschende
Leitmotiv für die ganze Behandlung dieser Rede bilden. Aber kaum hatte der Herr Reichskanzler das Motiv angeschlagen, als er
auch schon in das strikte Gegenteil verfiel.
(Sehr richtig! rechts.)
Nach wenigen Minuten hörten wir ein Toben und Wettern, und es hat förmlich den Eindruck gemacht, als wenn gar kein Zweifel
mehr darüber bestünde, daß der Mörder als politischer Mörder bereits entlarvt sei, daß
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ihm sein politisches Verbrechen nachgewiesen, daß er womöglich selbst schon eingestanden.
Nach seinem Fortissimo und Prestissimo gegen rechts, 16 nachdem das Motiv des Hasses, der Rache und der Vergeltung sich
übermäßig breit gemacht hatte, lenkte zur allgemeinen Verwunderung der Dirigent unmittelbar in Moll über, und plötzlich
hören wir unter Geigen und Flötenbegleitung das Motiv des Vergebens und Vergessens, die Melodie der Liebe und Versöhnung erklingen.
(Heiterkeit rechts.)
Herr Kanzler verzeihen Sie mir, auch da haben Sie mich wieder an meine Lieblingsoper, die "Meistersinger" erinnert, nämlich an
das musikalische Chaos in der Prügelszene des zweiten Aktes, dem da plötzlich auf der Bühne eine Totenstille folgt, und nach
dieser Totenstille tritt bekanntlich der Nachtwächter auf
(große Heiterkeit 120)
- verzeihen Sie, das ist nicht persönlich gemeint - und tutet in sein Horn und singt die friedliche Weise: "Hört, Ihr Herren,
und laßt euch sagen: Die Uhr hat elf geschlagen!"
(Heiterkeit.)
Der ganze Unterschied zur Bühne ist eigentlich doch der, daß der Nachtwächter in den "Meistersingern" von der Prügelszene gar
nichts weiß, während der Herr Reichskanzler sich an dem Wortkampf doch selber sehr beteiligt hat.
(Sehr gut! bei der Deutschen Volkspartei.)
Derartige schroffe Gegensätze machen sich in einer Oper unter Umständen ganz ausgezeichnet. Aber wie der Herr Kanzler die
Dissonanzen, die im Orchester des Reichstags und leider auch im ganzen deutschen Volke heraustönen, aus der Welt schaffen
will, nachdem er unmittelbar vorher durch seine Philippika und durch sein quos ego! nach rechts hin diese Dissonanzen noch
so wesentlich verschärft hat, das bleibt sein Geheimnis.
(Sehr gut! rechts. - Zurufe links.)
Ich konnte mich leider des Eindrucks nicht erwehren, als ob nunmehr nach links hin überhaupt keine Grenzen mehr im Rufe nach
der Politik der Sammlung gezogen werden sollten, daß aber umgekehrt nach rechts hin mitten unter die bürgerlichen Parteien ein
scharfer Trennstrich gezogen werden sollte.
(Sehr richtig! rechts.)
Vizepräsident Dr. Bell: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hamm.
Hamm, Abgeordneter: Meine Herren und Frauen! 17 Wenn der Reichstag heute am dritten Tage Bavarica traktiert in behaglicher
Breite, ab und zu von etwas trüben Katarakten des Gelächters und schlimmerer Dinge unterbrochen, so soll er nicht glauben,
daß er mit dieser Verbreiterung der Debatte eine heilsamen Vertiefung des Eindrucks in Bayern erreicht.
(Sehr richtig! bei den Deutschen Demokraten.)
Der Tod geschah in Nacht und Regen, 18 weit draußen am Ende der Stadt. Das Dunkel liegt noch über
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