1. Reichstag, Weimarer Republik


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Seite 120

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Meine Damen und Herren! 7 Wenn Ihnen, wie Sie behaupten, so viel an der großen politischen Arbeit des Wiederaufbaus des Vaterlandes läge, dann wäre es ganz in Ihre Hand gegeben, solche Interpellationen künftig unmöglich zu machen. Aber gerade diese Interpellation beweist, daß Ihnen nur parteipolitische Ziele vorschweben.

(Sehr wahr! bei den Deutschnationalen.)

Gewiß, das ist nichts Ungewöhnliches im politischen Leben Deutschlands, auch dann nicht, wenn es sich um die großen Interessen des Vaterlandes handelt. Es waren auch die kommunistischen Auftritte der letzten Tage nichts Ungewöhnliches. Aber was ohne Vorgang und ohne Beispiel in der Geschichte auch der deutschen Republik ist, das ist, daß ein bürgerlich-christlicher Reichskanzler sich gefunden hat,

(aha- Rufe links)

der die parteipolitischen Ziele einer den Umsturz der Religion und des Staates erstrebenden Partei zu

(hu! hu! links)

sich für berufen gehalten hat.

(Sehr wahr! bei den Deutschnationalen. - Erneute Huhu.- Rufe links.)

Ja, das ist ohne Beispiel in der Geschichte überhaupt, und das Urteil des Tribunals der Nachwelt wird dafür ohne Nachsicht und ohne Verzeihung sein. Es gab nur eine Antwort für jeden, der von der Weisheit und Wahrheit, von der Gerechtigkeit und Offenheit sich leiten lässt: das war die Erklärung, daß in dieser Mordsache überhaupt nichts feststeht, weder über den Täter, noch über das Motiv der beklagenswerten Tat.

(Sehr richtig! bei den Deutschnationalen.)

Der Herr Reichskanzler hat zunächst den Mord mit tatkräftigen Worten verurteilt. 8 Aber warum hat der Herr Reichskanzler sich nicht mit der Versicherung begnügt, daß man das volle Vertrauen in die bayerische Regierung und in die bayerischen Behörden haben könne, daß sie alles tun werden, was nötig ist, um des Mordes gesetzliche Sühne herbeizuführen? In versteckter Weise 9 hat er einen Zusammenhang zwischen dem Mord an Gareis und meiner Partei konstruiert. Er hat davon gesprochen, der Mord sei da und dort verherrlicht worden, ohne zu sagen, von wem. Er meinte, der Mord bedeute einen Krisenpunkt in der politischen Entwicklung des Reiches. Dann ging er, ohne daß man lange Zeit verstehen konnte, auf allerhand Flugblätter und Angriffe ein, und erst, als ihm wiederholt der Zuruf entgegenklang, was denn das alles mit dem Falle Gareis zu tun habe, erst dann hat er erklärt, daß diese Agitation eine politische Atmosphäre schaffe, die zu einer Verwilderung der Sitten führe,

(sehr richtig! links)

und das aus dieser Sittenverwilderung der Mord zu erklären sei, ob nun die Betreffenden das gewollt hätten oder nicht.

(Sehr richtig! links.)

In eine klare Spreche übersetzt, hat er also den Mörder uns an die Rockschöße gehängt.

(Sehr richtig! rechts.)


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vorige

Die Beweise, die er aber dafür beigebracht hat, sind allerdings ohne Beispiel in der Kriminalgeschichte.

(Sehr wahr! rechts.)

Wie nach der Ansicht des Herrn Reichskanzlers der Mord an Gareis einen Krisenpunkt in der Entwicklung des Landes darstellt, so scheint mir seine Beweisführung einen Krisenpunkt in der Entwicklung der Kriminalpsychologie darzustellen.

(Sehr gut! rechts.)

Schließlich hat der Herr Reichskanzler erklärt, ein bekannter Abgeordneter habe den Reichspräsidenten Ebert ein Doppelschwein genannt. 10 Es ist nicht anders möglich, als daß der Herr Reichskanzler mit dieser Bemerkung eine politische Satire im Auge hat, die voriges Jahr, im Mai vor den Wahlen

(Hört! Hört! links.)

in Württemberg erschienen ist. Diese politische Satire heißt: "Faust, die Tragikomödie des deutschen Volkes". Es ist die Nachbildung einiger Szenen des Goetheschen "Faust" und der Grundgedanke ist folgendermaßen angegeben: Faust, der Genius des deutschen Volkes, wird von Mephistopheles, dem Geist der Demokratie, verführt, Gretchen, das deutsche Volk, ins Unglück zu stürzen. Dann kommen die Personen des Spiels, die "großen Staatsmänner der Gegenwart", wie es hier heißt, ich will die Namen nicht nennen, (

Abgeordneter Crispien: Sind Sie auch darunter, Herr Kollege?)

- Hier sind nur solche Personen genannte, Herr Kollege Crispien, die sich der Satire als würdig erwiesen haben, dazu gehöre ich glücklicherweise bis jetzt nicht.

(Sehr gut! rechts. - Heiterkeit links.)

Eine der Szenen ist die Nachbildung von Auerbachs Keller in Leipzig. Hier sind die Rollen des Frosch, Brander, Siebel und Altmayer unter bekannte Politiker verteilt, und eine dieser Rollen ist auf den Herrn Ebert gefallen. Die Szene beginnt, wie die Herren ja wissen, mit den Worten:
Will keiner trinken, keiner lachen, Ich will Euch lehren, Gesichter machen, Ihr seid ja heut' wie nasses Stroh, Und brennt sonst immer lichterloh.
Darauf sagt Brander-Erzberger:
Das liegt an Dir, Du bringst ja nichts herbei, Nicht eine Dummheit, keine Sauerei.

(Zurufe links.)

Nun heißt es: (Frosch hält ihm den Friedensvertrag von Versailles unter die Nase): Da hast Du beides. Darauf kommt die Antwort: "Doppelt Schwein", - und dann heißt es: "Ihr wollt es ja, so soll es sein". Es ist also ganz klar, daß sich das "Doppelt Schwein" auf den Friedensvertrag von Versailles bezieht, und daß es keinen Menschen auch nur im Traum eingefallen ist, den Herrn Reichspräsidenten mit diesen Worten zu beschimpfen. Nur wer die Zwecke verfolgt, die der Herr Reichskanzler verfolgt, konnte auf eine solche Auslegung der Worte kommen. 11


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