1. Reichstag, Weimarere Republik


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Reichstag. - 45. Sitzung. Freitag den 10. Dezember 1920

Seite 29

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aufnehmen soll. Darum bewilligt man heute ebenfalls die neuen Millionen und Milliarden für den neu zu schaffenden Mördermilitarismus.

(Lebhafte Zustimmung bei der U.S.P. [Linke].)

Meine Damen und Herren! Daß wir von dieser Regierung nichts für eine bessere Ernährung des Volkes zu erwarten haben, muß von dieser Stelle ausgesprochen werden, damit es ins ganze Land hinausgeht.

(Sehr richtig! Bei der U.S.P. [Linke].)

Denn verehrte Anwesende, Sie sind nicht in der Lage, die Lebensmittel, die heute vorhanden sind, zu erfassen. Im laufe dieses Monats wurde aus Offenburg gemeldet, daß in Offenburg eine Kompagnie Schutzpolizei Getreide enteignen musste, weil die Landwirte freiwillig nichts abgeliefert haben. Es kam zu tätlichen Angriffen auf die Mannschaften, und es wurde ein großer Teil der Bauern entwaffnet. Wie kommt es, daß heute noch Bauern entwaffnet werden können? Ich denke, sie haben die Waffen abgeliefert, die Waffen sind eingezogen worden. Aus Offenburg wird aber berichtet, daß die Kompagnie den Kampf aufnehmen musste, weil die Bauern bisher keine Lebensmittel und kein Getreide abgeliefert hatten. Unsere Agrarier pfeifen ja auf die heutige Regierung.

(sehr richtig! Bei der U.S.P. [Linke] )

und sie können es ja infolge des freudigen Entgegenkommens unseres Ernährungsministers. Wenn die Regierung sich weiter so bockbeinig zeigt, wenn sie die Verbrechen der Agrarier weiter duldet, dann bleibt der Arbeiterschaft, den Arbeitslosen nichts weiter übrig, als zur Selbsthilfe überzugehen, genau so wie die Agrarier, um die Verbilligung der Lebensmittel zu erzwingen. 11 Ja, meine Damen und Herren, betrachten Sie es vielleicht nicht als Wucher, wenn es, wie es vor 14 Tagen in einer Bauernzeitung hieß, bei der Versteigerung von Pachtbäckereien, "die bisher 4.350 Mark eintrugen und die der Gemeinderat auf 9.000 Mark taxierte, sage und schreibe 69.208 Mark erzielt" wurden? Ist das kein Wucher? Trägt das nicht zur enormen Verteuerung der Lebensmittel bei? Und wenn heute unsere Heringsimportgesellschaft über 900 Prozent Dividende auszahlt,

(hört! hört! bei der U.S.P. [Linke])

so frage ich: ist das kein Wucher? Gehören diese Leute nicht zu denen, für die die scharfen Strafen, die Sie ansetzen wollen, angebracht wären? Nachdem ich das in die Zeitung gebracht hatte, habe ich mich damals mit den betreffenden Herren in Verbindung gesetzt, und da haben sie mir erklärt: der Verdienst war noch weit höher als 900 Prozent Dividende; nur haben wir keine höhere auszahlen wollen, um nicht noch eine größere Beunruhigung in der Bevölkerung herbeizuführen.

(Hört! Hört! bei der U.S.P. [Linke] )

Wuchergesetze können Sie gar nicht machen 12 , sonst würde der größte Teil dieser ganzen Gesellschaft hinter Schloß und Riegel sitzen müssen.

(Zuruf von der U.S.P. [Linke]: da gehört sie auch hin!)

Die Regierung erklärt allerdings, sie könnte nicht anders, es fehle ihr der starke Arm. Das hat auch der


11S. 1597A/B
12S. 1597D
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sozialdemokratische Ernährungsminister Robert Schmidt oftmals erklärt: wir wissen wohl, daß noch genügend Lebensmittel vorhanden sind, aber wir können sie nicht erfassen, wir haben nicht die Macht dazu, es bleibt uns nichts übrig, als den Landwirten höhere Preise zu bewilligen,

(hört! hört! bei der U.S.P. [Linke])

und zu sehen, ob sie dann so liebenswürdig sind, ihre Lebensmittel der deutschen Bevölkerung zur Verfügung zu stellen.

(Hört! Hört! bei der U.S.P. [Linke].)

Nur wenn wir heute die Arbeiterschaft darüber bestimmen lassen, wenn wir ihnen die Erfassung und Verteilung der Lebensmittel in die Hände geben, wird es möglich sein, andere Zustände als bisher in Deutschland herbeizuführen. Ja, meine Herren, wir werden mit Ihnen (nach rechts) kollidieren, davon bin ich felsenfest überzeugt. Aber ich sage es Ihnen frei und unumwunden: wir sagen Ihnen Sturm und Fehde an.

Hetzt uns mit eures Hasses Hunden, Wir haben uns're Pflicht getan, Uns schrecken nicht mehr eure Schrecken, Tod und Verderben, einerlei, wir stecken Die Welt an allen ihren Enden Mit uns'res Zornes Fackeln an! 13

Wir werden das Evangelium des Kommunismus hinaustragen aufs Land zu den Landarbeitern, damit ihre Ausbeuter und Peiniger, die so namenloses Elend über die Menschheit gebracht haben, beseitigt werden und an Stelle dieser planlosen, verrückten kapitalistischen Gesellschaftsordnung eine neue, die sozialistische tritt.

(Beifall bei der U.S.P. [Linke] - Lachen und ironisches Bravo rechts.)

Vizepräsident Dr. Bell: Das Wort hat der Herr Reichsernährungsminister.

Dr. Hermes, Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft: Meine Damen und Herren! 14 Zum Schluß nur ein kurzes Wort noch. Ich habe bereits in meinen Ausführungen hier mehrmals zum Ausdruck gebracht, daß ich nach wie vor überzeugt bin, daß die Zwangswirtschaft auf einigen Gebieten unbedingt aufrechterhalten werden muß, daß sie dagegen auf anderen nicht fortgesetzt werden konnte, und das, was der Herr Abgeordnete Reich im einzelnen angeführt hat - ich erinnere nur an die 900 Prozent Dividende der Heringsimporteure, an die bevorzugten Zuckerbelieferungen, denen übrigens im einzelnen sachlich nachgegangen wird - all dieses bestärkt mich in meiner Überzeugung von der Richtigkeit des Weges, den wir eingeschlagen haben.

(Sehr gut! Im Zentrum und rechts.)

Wenn es Ihnen wirklich ernst ist, diese Missstände aus der Welt zu schaffen, meine Damen und Herren (nach links), dann helfen Sie uns in der Durchführung des planmäßigen, vorsichtigen Abbaues der Zwangswirtschaft.


13S. 1599B
14S. 1599C

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