1. Reichstag, Weimarer Republik


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dem Betreffenden eine göttliche Mission zugewiesen hat.

(Rufe auf der äußersten Linken: Aha! - Lachen links.)

Die Wendung im Alten Testament lautet zum Beispiel bei dem Richter Ehud

(Lachen links)

- da ist nichts zu lachen! -, daß er "von Gott erweckt" den Moabiterkönig meuchlings ermordet habe.

(Hört! Hört! bei den Deutschnationalen.)

Und Sie alle kennen die Gestalt der Judith, die den Holofernes zuerst berückt und dann im Schlaf enthauptet hat.

(Hört! Hört und sehr richtig rechts. - Unruhe links.)

- Also Sie, meine Herren (nach links), haben am wenigsten den Beruf, über den Glauben an eine göttliche Mission zu spotten.

(Lebhafte Rufe bei den Deutschnationalen: Sehr wahr! - Abgeordneter Hoffmann: Das ist der erste Bazillus auf der Arche Noah! - Heiterkeit links.)

Meine Damen und Herren! Die unreife Jugend

(Lachen links)

kann unmöglich ein politisch reifes Denken besitzen. Was dem Alter Weisheit ist, die es aus der Erfahrung gewonnen hat, das ist der feurigen Seele der Jugend ein verächtlicher Mangel an Tatkraft.

(Zuruf links: Ist das die Trauerrede für Rathenau!)

Und wer hat denn eigentlich die Jugend auf die Bühne des öffentlichen Lebens gerufen? Wer hat ihr den Glauben beigebracht, daß sie mit berufen sei, an den politischen Geschicken des Vaterlandes zu arbeiten? Wer hat den Zwanzigjährigen das Wahlrecht gegeben?

(Zurufe von den Sozialdemokraten: Sie haben sie mit 17 Jahren in den Krieg gehetzt! Wenn man für das Vaterland mit 20 Jahren sterben kann, kann man auch wählen! - Glocke des Präsidenten.)

Präsident: Meine Damen und Herren! Ich fürchte, wir kommen in unseren Verhandlungen überhaupt nicht vorwärts, wenn fortgesetzt Zwischenrufe erfolgen. Ich bitte also, auf allen Seiten die Plätze einzunehmen und den Redner nicht fortgesetzt zu unterbrechen.

(Zuruf von den Kommunisten: Er soll nicht so provozieren!)

Bazille, Abgeordneter: Wo haben denn wir jemals den politischen Mord verherrlicht? Wo haben wir den politischen Mord auch nur beschönt?

(Zuruf links: "Miesbacher Anzeiger!")

- Der Miesbacher Anzeiger ist kein deutschnationales Blatt.

(Lautes Lachen links.)

Die zweite Behauptung5 ist die, daß Zusammenhänge zwischen den Deutschnationalen und den schuldigen Organisationen bestünden. Die Beweise, die man hierfür beigebracht hat, sind ein


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Hohn auf den gesunden Menschenverstand. Wenn die Urteile des neuen Staatsgerichtshofs ebenso aller Urteilskraft entbehren sollten wie diese Beweise, so würde er ragende Monumente errichten für die Schande der deutschen Republik.

(Viele Abgeordnete verlassen den Saal.)

Ich sehe zu meinem Vergnügen, daß meine Beweise die Regierungsparteien in die Flucht schlagen. Das wird mich aber nicht hindern, die Beweisführung fortzusetzen.

(Sehr gut! rechts.)

Die dritte Behauptung, die ernsthafter ist als die beiden ersten, ist die, daß die Opposition der Deutschnationalen die Mordatmosphäre geschaffen habe.6

(Sehr richtig! links.)

Hier wären strenge Beweise besonders notwendig gewesen. Aber der Herr Reichskanzler hat sich seine Beweisführung ebenso leicht gemacht wie in den Fällen Gareis und Erzberger. Als einziges Beweismittel7 hat der Herr Reichskanzler einen Satz des Herrn Abgeordneten Wulle vorgetragen, in dem steht, daß die Reichsregierung eigentlich nur Angestellte der Entente sei und daß, wenn es der Entente gefalle, sie auf die Straße gesetzt und brotlos würde. Ich gebe zu, daß der Sarkasmus, die Karikatur, die in diesen Worten liegt, wohl über die Grenze des Zulässigen hinausgeht. Aber selbst wenn man dieser Ansicht ist, so darf man doch die Frage erheben: sind denn die Dinge, die schließlich zu solchen Wendungen führen nicht geeignet, derartige Karikaturen in der Presse heraufzubeschwören? Haben denn die Regierungsparteien vollständig vergessen, daß sie vor Annahme des Londoner Ultimatums erklärt haben, daß sich keine Regierung finden könne, die sich anschicke, dieses Ultimatum für ausführbar zu erklären, weil sie weder das Vertrauen des Inlandes noch des Auslandes genießen könne? Haben die Regierungsparteien vergessen, daß sie in formulierten Erklärungen sich dahin ausgesprochen haben, daß eine solche Regierung die Ehre und die Lebensnotwendigkeiten des deutschen Volkes verletzt?

(Hört! Hört! bei den Deutschnationalen.)

Und wundern Sie sich dann angesichts solcher Tatsachen über solchen scharfen Sarkasmus? Außerdem hat Herr Dr. Wirth erklärt,8 daß er Verständnis habe für Kritik, für Hohn und Spott, selbst für Verzerrung zur Karikatur. Er hat uns nach dem Morde Erzbergers Börne und Heine als Vorbilder richtiger Kritik empfohlen. Auch hier wieder der übliche Widerspruch zwischen seinen Worten und Taten! Denn was würde der Herr Reichskanzler tun, wenn wie seiner Empfehlung entsprächen, wie Börne und Heine zu schreiben?

(Sehr gut! bei den Deutschnationalen.)


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8S.8694A

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