1. Reichstag, Weimarer Republik


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Deutschnationalen. - Zuruf von den Deutschnationalen: Etwas lauter!)

- Ich glaube, daß Ihnen das nicht laut genug in die Ohren gedröhnt werden kann!

(Sehr gut! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

In den Versammlungen der Deutschnationalen feiert die Judenhetze wahre Orgien. In den höheren Schulen werden die Schüler zum Judenhaß erzogen, und die jüdischen Mitschüler werden systematisch boykottiert. So wird schon in die Kinderseele jene Stimmung hineingepflanzt, die von der Verrohung der ganzen Vorstellungswelt schließlich folgerichtig zu jenen Taten führen muß, die wir heute vor uns sehen. An Rathenaus Ermordung sehen wir:

Das ist der Fluch der bösen Tat, Daß sie fortzeugend Böses muß gebären.

(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Hand in Hand mit dieser Judenhetze der Deutschvölkischen geht jetzt - und das war mir besonders interessant und wird vielleicht die Herren vom Zentrum ganz besonders interessieren; in konservativen Kreisen hört man es - geht jetzt eine außerordentlich interessante neue Katholikenhetze einher. "Juden und Jesuiten" werden jetzt gemeinschaftlich des bewussten Zugrunderichten Deutschlands beschuldigt. Wirth sei kein Katholik, sagt man, sondern ein Jesuit, und in einer Schrift, die man vor wenigen Tagen zugestellt hat, einer Schrift unter dem Titel: "Los von Juda", da wird der Papst als "Handlanger jüdischer Triebkräfte" hingestellt

(hört! hört! und Heiterkeit links)

und gesagt, hinter seinem Treiben stehe das ganze internationale Judentum.

(Lachen im Zentrum und links.)

Wenn es nicht so traurig wäre, es wäre zum Lachen, meine Damen und Herren! Aber das sind dieselben Kreise, die eben nur von der Hetze leben und die bewusst gegen alles hetzen, was ihnen politisch nicht in den Kram passt. In solchem Geist wird unsere Jugend erzogen, erzogen auf den höheren Schulen, und Universitätslehrer und Schüler, Professoren und Studenten sind von demselben Geiste beseelt.

(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Herr Universitätsprofessor Roethe und der Student Biertimpel - das sind heute allegorische Figuren unserer so genannten akademischen Kreise.

(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Und nun stellen wir uns einmal die Zukunft vor - Sie wollen ja auch Deutschland in eine bessere Zukunft hineinführen -, stellen Sie sich doch einmal diese Zukunft vor: aus den Studierenden werden fertige Menschen, Beamte die den Staat, wie Sie (nach rechts) sagen, repräsentieren sollen, Pädagogen, Richter. Der Pädagoge wird naturgemäß den Geist, von dem er selbst besessen ist, in die ihm zur Erziehung anvertraute Jugend hineinlegen; der Verwaltungsbeamte wird alle Verfügungen der


vorige

Regierung wie bisher mit gebührendem Respekt in Empfang nehmen, und der Richter, - ich brauche nicht auf Einzelheiten hinzuweisen, wir haben in den letzten Jahren gerade genug erlebt! Das alles haben nicht bloß die Deutschnationalen, auch die Volkspartei und darüber hinaus die Herren ruhig mit angesehen.

(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Sie haben es ruhig dahin kommen lassen, wohin wir heute gekommen sind, und sie tragen zum Teil die Mitschuld an diesen traurigen Erscheinungen. Und wenn jetzt bei diesem neuen Gesetz zum Schutz der Republik gerade jene Herren über Rechtsbruch und Vergewaltigung aufschreien und ganz aus dem Gedächtnis verloren habe, wie sie es gemacht haben, als sie noch an der Macht waren, dann sagen wir Ihnen: warum soll es der Republik in der letzten Stunde der Gefahr verwehrt sein, zu tun, was die Monarchie als ihr selbstverständliches Recht in Anspruch genommen und wogegen Sie niemals Protest eingelegt haben. Sie haben heute das Recht auf Protest verwirklicht durch die Ausnahmegesetzgebung, durch alles was mit diesen Ausnahmegesetzen in Verbindung stand.

(Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Meine Damen und Herren! In ganz Deutschland werden 4 die militärischen Formationen der Konterrevolution gemustert, eine Regimentsfeier folgt auf die andere, nicht etwa um bei dieser Gelegenheit gemeinschaftliche Erinnerungen auszutauschen, sondern lediglich zu dem Zwecke, der verhaßten Republik immer wieder von neuem Urfehde anzusagen. In diesen Regimentsfeiern5 wird den Leuten alles Mögliche so unpolitisch wie nur möglich vorerzählt: die Lüge von der "erdolchten Front" usw. Gelingt es uns nicht6 , in aller kürzester Zeit auch auf dem Wege der Gesetzgebung diesem nationalistischen Treiben, diesem Mordgesindel Einhalt zu gebieten, dann - darüber täuschen Sie sich nicht - haben wir in Deutschland den offenen Bürgerkrieg.

(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Aber dann heißt es für das Proletariat Ihnen gegenüber: Auge um Auge, Zahn um Zahn!

(Lebhafter Beifall bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Vizepräsident Dr. Bell: In der gemeinsamen Besprechung der zur Erörterung stehenden Interpellation hat das Wort der Herr Abgeordnete Cuno.

Cuno, Abgeordneter: Meine Damen und Herren! Vorhin sind teilweise sehr scharfe Worte gebraucht


4 S. 8329B
5 S. 8331B
6 S. 8332B

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