1. Reichstag, Weimarer Republik


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äußersten Linken.)

In Feigheit und Gewissenlosigkeit sind sie dabei, die Schuld auf andere zu wälzen. Sie arbeiten geschlossen daran, die Spur der Mörder verwischen zu helfen; denn etwas anderes ist es nicht, wenn die Deutsche Zeitung plötzlich entdeckt, eine Weibergeschichte stecke hinter dem Attentat,

(lebhafte entrüstete Rufe bei den Sozialdemokraten und auf der äußersten Linken: Pfui! Wulle! Berufsmäßiger Verleumder!)

- das ist das alte Klischee, das bei der Ermordung des bayrischen Landtagsabgeordneten Gareis bereits zur Anwendung kam!

(lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten und auf der äußersten Linken)

und wenn die "Tägliche Rundschau" darauf hinwies, daß es wahrscheinlich Russen gewesen wären, die aus Rache gegenüber dem Rapallovertrag mit der Sowjetregierung den Außenminister erschossen hätten, und wenn die "Deutsche Tageszeitung", das Organ der geistig Schwerfälligen,

(Heiterkeit bei den Sozialdemokraten)

erklärt, rechtsstehende Kreise wären nicht so töricht und nicht so verblendet, ein solches Attentat zu begehen; man sollte in linksradikalen Kreisen nur die Täter suchen. Meine Damen und Herren! Auch unsere Duldsamkeit gegen diese nachträgliche Unterstützung der Mordgesellen ist zu Ende,

(sehr gut! bei den Sozialdemokraten und auf der äußersten Linken.)

weil sie sich geradezu als Beihilfe zur Flucht charakterisiert, weil sie die Aufmerksamkeit des auf die Mörder fahndenden Volkes auf andere Wege lenken will. Schuldig an dem Verbrechen machten sich nicht nur diejenigen, die die Hand, nicht nur diejenigen, die den Kopf für den Mord hergaben, schuldig machen sich auch die Geldgeber jener Kreise,

(sehr richtig! bei den Sozialdemokraten und auf der äußersten Linken.)

denen rücksichtslos nachgeforscht werden muß, deren Vermögen dem Staate verfallen sollte,

(lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten Zurufe von den Kommunisten: Machen Sie nur ernst damit!)

den sie beseitigen, den sie stürzen wollen. Verschwinden müssen die Symbole der alten Monarchie!5 Wir Sozialdemokraten sahen und sehen in der roten Fahne das Symbol unseres Kampfes für Völkerversöhnung und Völkerverständigung und wir sehen in der schwarz-rot-goldenen Fahne der Republik das Bekenntnis zur Demokratie und zum friedlichen Aufbau. Millionen, die heute sich zu uns, zu unseren Farben bekennen, folgten einst den schwarz-weiß-roten Fahnen aus innerer Überzeugung, bis die Leiden unseres Volkes und die Verbrechen des alten Regimes sie zur Abkehr zwangen. Heute ist für alle diese die schwarz-weiß-rote Fahne zur Mörderfahne geworden!


5 S. 8044A

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(Stürmischer Beifall bei den Sozialdemokraten und auf der äußersten Linken, Händeklatschen auf den Tribünen. - Entrüstete Rufe bei den Deutschnationalen und der Deutschen Volkspartei: Pfui!)

Präsident: Kundgebungen von der Tribüne sind nicht gestattet. Ich bitte die Damen und Herren, sich solcher Kundgebungen zu enthalten.

Wels, Abgeordneter: Wir werden sie nicht mehr als Protest gegen die heutige Staatsform dulden. Wir rufen die Regierung auf, uns darin zu unterstützen; denn den Anfängen zu wehren, ist es zu spät. Jetzt muß mit harter Faust durchgegriffen werden.

(Sehr wahr bei den Sozialdemokraten und auf der äußersten Linken.)

Wer daran zweifeln sollte, den lehrt vielleicht ein Bericht, den wir vor einigen Tagen auch den preußischen Behörden übergeben konnten,

(Zuruf von den Unabhängigen Sozialdemokraten: Da ist er gut aufgehoben.)

ein Bericht, aus dem auch der Zusammenhang mit der Ermordung Rathenaus deutlich hervorgeht.

(Hört! Hört! bei den Sozialdemokraten.)

In allen Städten unseres Landes suchen die Mörderzentralen Mörder zu werben. Hier liegt ein Dokument! Am 3. Mai dieses Jahres empfing der Bruder des als einer der Mörder Erzbergers festgestellten Oberleutnants a. D. Heinrich Tillessen in seiner Wohnung in Frankfurt am Main einen der neugeworbenen Agenten, um ihn über seine Aufgabe zu informieren. In dieser Instruktion entwickelte Tillessen sein politisches Programm, daß, kurz gesagt, in der Wiedererrichtung der Monarchie gipfelte, allerdings ohne Wilhelm II.

(Hört! Hört! bei den Kommunisten.)

Um dieses Ziel zu erreichen, sagte er, müsse mit allen Mitteln rücksichtslos vorgegangen werden. Als eines der hauptsächlichen Mittel bezeichnete er Provokationen, durch welche die Arbeiterschaft zum Generalstreik beziehungsweise zur allgemeinen Erhebung gereizt würde,

(hört! hört! links.)

wodurch wiederum die Reaktion, zu deren hauptsächlichen Stütze er die Reichswehr rechnete,

(lebhafte Rufe bei den Kommunisten und bei den Unabhängigen Sozialdemokraten: Hört! Hört! Da ist ja die Stütze, der unschuldige Geßler! Wir haben ja gehörnte Minister! - Glocke des Präsidenten)

Präsident: Ich bitte die Abgeordneten, damit wir alle Weiterungen vermeiden, auf den Plätzen zu bleiben.

Wels, Abgeordneter: - zur Gegenaktion gebracht werden könnten. Daß die Reaktion dabei Oberhand behalten würde, das war für Herrn Tillessen selbstverständlich. Auf die Frage des Neugeworbenen, was er denn unter "Provokationen" verstehe, nahm er das Bild


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