1. Reichstag, Weimarer Republik


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Seite 148

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Spitzmarke "Jubel über die Ermordung Erzbergers" folgenden Bericht:

Auf einer Gründungsfeier der Ortsgruppe11 "Theodor Körner" des deutschen Jugendbundes "Bismarck" im Rosenthaler Garten führte der Geschäftsführer der Deutschnationalen aus: Wie ich so eben lese, ist der dicke, vierschrötige (allgemeine Heiterkeit. Zurufe: Sehr gut! Heil!)Reichsverderber Erzberger erschossen worden. (Minutenlanges Händeklatschen. Heilrufe.)

(Hört! Hört! links.)

Er fährt fort:
Wir freuen uns darüber, daß Deutschland von einem Schädling befreit ist. (Beifall.) Wir tragen die volle Verantwortung für diese Tat.

(Erneute Rufe links: Hört! Hört!)

Es ist durchaus christlich, wenn wir unsere Freude darüber aussprechen; denn was man als etwas Böses erkannt hat, das muß man beseitigen.

Meine Damen und Herren! Nachdem diese Mitteilung durch die Presse gegangen war, hat dieser Herr den Zeitungen ein Dementi geschickt. Ich lese wörtlich vor, damit von der Rechten nicht die Behauptung aufgestellt werden kann, als ob irgend etwas von diesen Dingen schon erledigt sei. Herr Stracks schreibt:

Es ist mir nicht im Traume eingefallen, zu sagen: "Wir übernehmen die volle Verantwortung für die Beseitigung Erzbergers."

Meine Damen und Herren (nach rechts), so sehen Sie aus, wenn Ihnen die Hülle abgezogen wird, die Sie hier im Hause tragen.12

(Sehr richtig! links. - Lachen und Zurufe rechts.)

Meine Damen und Herren!13 Ich erwähne die Forderung, die die Massen am 31. August aufstellten. Zu ihnen gehörte auch ein rücksichtsloses Vorgehen gegen die konterrevolutionäre Mörderclique, ihre Hintermänner, gegen die Geldgeber und Helfershelfer. Diese Forderung ist angesichts der Tatsache, daß hunderte und aber hunderte von Morden bis heute in Deutschland ungesühnt sind, berechtigt. Die heute schon mitgeteilten Zahlen stellen noch nicht einmal die neuesten Feststellungen dar. Herr Dr. Gumbel, der das dankenswerte Buch über die nach der Revolution in Deutschland ausgeführten politischen Morde herausgegeben hat, hat in den letzten Tagen seine ursprüngliche Statistik noch ergänzt, und jetzt ergibt sich, daß seit dem Januar 1919 335 Menschen in Deutschland aus politischen Gründen umgebracht worden sind, davon 319 durch Anhänger rechtsstehender Parteien und nur 16 angeblich durch Kommunisten. Nicht mitgerechnet sind die Opfer der Straßenkämpfe, die im offenen Kampf Gefallenen, die von den sogenannten Kriegsgerichten zum Tode Verurteilten und 150 Todesfälle, die bisher nicht hinreichend aufgeklärt sind. Und die Urteile, meine Damen und Herren! 202 Anhänger der Räteregierungen wurden verurteilt zu 538 Jahren Zuchthaus, zu Gefängnis und Festung, 40 andere zu langjährigen Strafen. Keiner dieser Gefangenen bekam jemals Urlaub, wie Ihr Protegé


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(nach rechts), der Herr v. Hirschfeld, der ja jetzt aus der Haft entlassen worden ist, weil die Gefahr bestand, daß er bei längerer Haft in Geisteskrankheit verfallen würde. Ich möchte wissen, welchem Arbeiter mit solcher Begründung schon einmal Urlaub aus der Strafhaft gewährt worden ist.

Meine Damen und Herren! Herr Dr. Gumbel hat dann die Sühne der 16 Morde festgestellt, für die man die Kommunisten verantwortlich macht. Sie besteht darin, daß acht Todesurteile und 239 Jahre Zuchthaus und Gefängnis und eine lebenslängliche Zuchthausstrafe verhängt worden sind. So werden die Morde gebüßt, die man den Kommunisten in die Schuhe schiebt und so werden die Morde gesühnt, die zweifellos von den Parteien der Rechten verübt worden sind. Meine Damen und Herren!14 Angesichts all dieser Feststellungen hier über die Gewalttätigkeiten gegen links kommt Herr Hergt hierher und beschwert sich über diese achtzig sogenannten Gewalttätigkeiten, von denen noch dazu die eine die harmlose Demonstration gegen die Anwesenheit Helfferichs in Jugenheim ist. Man muß sich wirklich darüber wundern, wie diese Herren es fertig bekommen, so harmlose Dinge

(Lachen rechts)

auf eine Stufe zu stellen mit Brutalitäten wie etwa die Ermordung Rosa Luxemburgs, die Ermordung Liebknechts und zahlloser anderer. Meine Damen und Herren!15 Die Reform der Justiz und der Verwaltung ist heute so notwendig, daß selbst ein Demokrat wie der Abgeordnete Riebel sich in einem Artikel für die "notwendige Säuberung der Verwaltung" ausgesprochen hat. Und ein ebenso maßvoller Politiker, unser Kollege, der Abgeordnete Brodauf, hat in einem Artikel des "Berliner Tageblattes" über die Organe der Justiz und der Republik Äußerungen gemacht, die ich meinerseits nur begrüßen kann, und besonders bin ich ihm dafür dankbar, daß er die Äußerungen eines sächsischen Landgerichtspräsidenten mitgeteilt hat, der während einer Beratungssitzung des Gerichts seinem Abscheu gegen alles, was demokratisch ist, Ausdruck gegeben hat mit den Worten: "Die Sozialdemokraten und Demokraten sind alle Lumpen". Das sagt ein sächsischer Landgerichtspräsident, und ich hoffe nur, daß die sächsische Regierung sich diese Mitteilung ad notam nimmt. Es muß endlich die Handhabe gegeben werden, gegen Richter und Beamte einzugreifen, die ganz offen bei Ausübung ihres Amtes oder sonst öffentlich sich zur Monarchie bekennen.16 Der Staatsapparat muß gereinigt werden von allen monarchischen Elementen! Schutzpolizei, Justiz und Verwaltung müssen ausgeräuchert werden.17

(Heiterkeit und Zurufe rechts.)

- Jawohl, kein faules Kompromiß, offener Kampf gegen die Reaktion, offener Kampf gegen die Konterrevolution. Und zu diesem Kampf rufen wir von dieser Stelle die deutsche Arbeiterschaft auf .


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