1. Reichstag, Weimarer Republik


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Mit einer zweiten Revolution wären wir schon fertig geworden. Es wurde also geradezu gewünscht,22 daß sich die aufgebrachten Volksmassen in ihrer berechtigten Empörung zu Torheiten hinreißen ließen, damit man diese Bewegung im Blute ersticken und den deutschnationalen Ordnungsstaat wenigstens für eine gewisse Zeit hätte aufrichten können. So, meine Damen und Herren, war es vor zwei Jahren auch in Bayern. Die Errichtung der so genannten Räteherrschaft war nichts anderes als die Folge der Ermordung des Ministerpräsidenten Kurt Eisner durch den deutschvölkischen Grafen Arco. In dem Augenblick, in dem Bayern im Begriffe war, nach einer blutig verlaufenen Umwälzung die Rechtsform einer demokratisch-parlamentarischen Regierung anzunehmen, da war es eine reaktionäre Mörderpistole, die diese friedliche Entwicklung unterbrach und das Land in blutigen Aufruhr stürzte.

(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)

Auf dem Weg über diesen Aufruhr wurde dann Bayern zu einem zeitweiligen Ordnungsstaat der Kahr, Roth und Böhner. Die Deutschnationalen wurden regierungsfähig und unter ihrem Schutz wurde Südbayern zum Zufluchtsort für die Organisationen immer neuen politischen Meuchelmordes.

(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.)

In diesen Kreislauf hätte Herr Hergt wahrscheinlich gerne ganz Deutschland hineintreiben sehen.

(Sehr richtig! Bei den Sozialdemokraten.)

Nur keinen Schutz gegen nationalistische Mordhetzer! "Mit der zweiten Revolution wären wir schon fertig geworden", so hatte er gesagt.

(Pfuirufe bei den Sozialdemokraten.)

Der Mann mit einer solchen Gesinnung nennt sich Führer einer deutschen Partei.

(Erneute Pfuirufe bei den Sozialdemokraten.)

Wenn die Reichsregierung diesen Weg nicht ging, sondern gesetzliche Maßnahmen ergriff, um die Welt der politischen Meuchelmorde einzudämmen, so billigen wir das als einen unvermeidlich notwendigen Akt der staatlichen Notwehr, so schwer es uns auch als Sozialdemokraten wird, uns mit Maßnahmen einverstanden zu erklären, die eine gewisse Einschränkung der staatsbürgerlichen Freiheit für vorübergehende Zeit mit sich bringen. Es blieb kein anderer Weg. Ihre Einkehr kann nur beginnen, mit dem Geständnis, daß Sie die Schuld tragen an Erzbergers Tod.23

(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten. - Zurufe bei den Deutschnationalen: Unglaublich! Das ist Aufreizung!)

- Ach Gott! Wir wollen uns doch gegenseitig nichts vormachen. Wer von uns sagt denn etwa, daß frühere königliche Minister, wie Hergt, oder andere Würdenträger der Deutschnationalen, sich hinter den


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Putsch stellen, um ihre Gegner niederzuschießen! Das macht keiner von Ihnen. Sie mögen die Tat zwar nicht getan, nicht vorbereitet, nicht einmal begünstigt haben, Sie mögen sie jetzt, nachdem Sie die Folgen gesehen haben, sogar verurteilen, aber dennoch sage ich: diesen Menschen haben Sie auf dem Gewissen!

(Große andauernde Unruhe und Zurufe bei den Deutschnationalen. - Lebhafte Zustimmung links.)

Wollen Sie sagen, Sie hätten Erzberger nur als politischen Gegner bekämpft und im übrigen Ihre Hände in Unschuld gewaschen? Ach nein, politischer Gegner war Erzberger im größten Teil seines Lebens auch uns und mir, und in einer tragischen Stunde Deutschlands trennten sich unsere Wege ganz schnurstracks. Nichtsdestoweniger sage ich: ich weiß, wie man politische Gegner bekämpft. Sie haben diesen Mann gehetzt, bis er lag, und dann, als das Opfer lag, hat man in Kreisen, die deutschnationale wählen, über die Tat gejubelt. Es gibt wohl keinen Fall, in dem ein Mann so durch eine jahrelange Kollektivarbeit um Ehre, Einfluß, um alles und schließlich ums Leben gebracht worden wäre, wie den Fall Erzberger.

(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten. - Zurufe bei den Deutschnationalen: Unerhört!)

Der Meuchelmord gegen Erzberger hat begonnen, als man diesen Mann, der irren konnte, so gut wie jeder andere auch irren kann, der aber gewiß niemals etwas anderes gewollt hat, als Deutschland vor dem Allerschlimmsten zu bewahren und Deutschland nach Möglichkeit zu retten, nach einer Methode bekämpfte, die uns Sozialdemokraten hinreichend bekannt ist, - als man ihm bewußten Landesverrat vorgeworfen hat. Er wurde fortgesetzt, als man dazu überging, den Mann durch Verleumdungen zu vernichten und parteiliche Richter diesen Versuch unterstützten. Es kam dann der erste Versuch, ihn auch physisch zu vernichten, seine erste Verwundung durch den Fähnrich Oltwig v. Hirschfeld, der von einem preußischen Gericht für diesen Mordversuch zu einer Freiheitsstrafe von 1 ½ Jahren verurteilt wurde und dann aus dem Gefängnis Urlaub erhielt, so daß der Verdacht entstehen konnte, er hätte sozusagen als Mörder auf Urlaub den zunächst vergeblich unternommenen Versuch wiederholen wollen. Die deutschnationale Presse höhnte damals über den kugelrunden, aber nicht kugelfesten Erzberger

(hört! Hört! Bei den Sozialdemokraten)

und fand die über Hirschfeld verhängte Strafe zu hoch. Der Mörder Schulz und der Mörder Tillesen haben dann nur vollendet, was andere begonnen hatten; nicht nur an ihren Händen klebt das vergossene Blut. Als dieser Mord vollzogen war, ging ein Schrei durch Deutschland, ein Schrei, daß es nicht so weiter geht. Sie haben sich diesem Schrei gegenüber taub und gefühllos verhalten. Sie haben bestenfalls achselzuckend erklärt, daß sie den politischen Mord verurteilen; aber in Kreisen, die deutschnationale wählen und deutschnationale Blätter lesen, hat man den Meuchelmord mit Sektgelagen gefeiert.


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