1. Reichstag, Weimarer Republik


Zurück zur Titelseite oder Zurück zur Homepage


Seite 141

A B

alle Ihre Kollegen eine solche Behandlung ablehnen. Ich sehe auch, wie bereits in Ihren Kreisen Bewegung herrscht, um einen solchen Anwurf zurückzuweisen. Ich sage, ich habe Verständnis für den Gedanken nationaler Traditionen, für die Feier der großen Gedenktage unseres Volkes. Wer die Geschichte seines Volkes nicht ehrt und seine Großtaten nicht von Geschlecht zu Geschlecht trägt, ist nicht wert, einer Nation anzugehören.

(Sehr richtig.)

Aber nun wollen wir einmal zusammen in wenigen Worten einen solchen von der deutschnationalen Volksparte während des Parteitages in München veranstalteten Gedenktag uns ansehen. Sedan und heute! Ich nehme es Ihnen nicht übel, daß Sie den Sedantag gefeiert haben, weiß nur nicht, ob in jenem Augenblick, wo wir vor schweren außenpolitischen Entscheidungen stehen, gerade eine solche Feier angezeigt war.

(Sehr richtig! links. - Lachen bei den Deutschnationalen. - Unruhe. Glocke des Präsidenten.)

Präsident: Ich bitte um Ruhe.

Dr. Wirth, Reichskanzler: Nun nehmen Sie aber einmal den Verlauf dieses Festes.14 Es liegt mir hier ein Bericht vor. Auf dieser Feier in München trat ein Heerführer auf, vor dem wir alle als Heerführer zweifellos die größte Achtung haben. Ich frage Sie nun aber: sind dafür nationale Feiertage da, die Gedenkfeiern an große Siege, an deutsche Waffentaten, daß der betreffende Heerführer Kraft v. Delmenfingen sich folgendes leisten konnte in seiner Rede:

In den Männern, die heute an der Spitze des Reiches stehen, kann der Redner nur die Abwicklungskommission für die einträglichen Geschäfte des Weltkrieges sehen, die Gerichtsvollzieher des Königs Mammon. Der Reichstag, einst eine Stätte der Arbeit, des Wissens und des Könnens, ist für viele die Versorgung mit arbeitslosem Einkommen geworden.

(Unruhe links.)

Der Redner fährt fort:
In schneidender Sprache rechnet Kraft v. Delmenfingen ab mit allen Schändern deutscher Ehre in eigenen und im fremden Lande und sagt nun, nachdem er der alten Fahne und Fürsten gedenkt:

- er tritt ein für die Wiederkehr der alten Farben -

was wir heute führen als des Reiches Banner, ist uns verhasst, nicht weil es ein Symbol darstellt alter, längst erfüllter Ideale, sondern weil es in sich birgt den gelben Judenstreifen.

Meine Herren! Ich frage Sie: hat diese ganze Rede, die Sie sich noch einzeln ansehen können, irgendetwas mit einer nationalen Feier zu tun?


144654D

vorige

(Sehr gut! Links und im Zentrum.)

Davon ist gar keine Rede.

(Zuruf von den Deutschnationalen.)

- Ja, zwei Stunden hat die Rede gedauert, und darin ergeht sich der Redner in solchen Schmähungen der Zeichen der neuen Republik. Was für ein Aufwand ist aus der Sache da unten bei Darmstadt in Ihren Zeitungen gemacht worden?15 Ich darf Ihnen den Bericht über den Vorgang im Schloß Heiligenberg in Jugenheim vortragen, den das hessische Staatsministerium uns geschickt hat?

Am 31. August

- so lautet der Bericht vom 16. September dieses Jahres -

nachmittags zwischen 5 und 6 Uhr zogen große Arbeitermassen aus Jugenheim und den umliegenden Ortschaften und Fabriken mit einer roten Fahne auf das Schloß Heiligenberg, um vor dem Reichstagsabgeordneten Helfferich, welcher auf Schloß Heiligenberg zu Besuch war, wegen der Ermordung Erzbergers zu demonstrieren. Nachdem ihnen durch den Bewohner des Schlosses, Prinz v. Hohenleuben, bekannt gegeben wurde, daß Helfferich am Tage zuvor vom Schloß abgereist sei, versammelten sich die Arbeiter und Arbeiterinnen im Schloßhofe.

(Abgeordneter Dr. Helfferich: Wie sind sie denn hineingekommen? - Stürmische Heiterkeit in der Mitte und links.)

- Dort, wo sie auch wieder herauskamen!

(Andauernde Heiterkeit.)

Der Führer, ein Arbeitersekretär aus Darmstadt, hielt eine Ansprache, worin er den Mord an Erzberger als einen politischen Mord geißelte16

te,

(Abgeordneter Dr. Helfferich: Und Helfferich als den Mörder bezeichnete! - Lebhafte Rufe links: Sehr richtig! - Unruhe bei den Deutschnationalen.)

insbesondere hierbei Helfferich und Ludendorf heftig angriffen und die Arbeiter und Volksgenossen aufforderte, bei einer etwa eintretenden Reaktion die demokratische Republik zu schützen.

(Abgeordneter Dr. Helfferich: Ach, du lieber Gott!)

Gendarmeriewachtmeister, die sich sofort auf das Schloß begaben, um die Bewohner vor eventuellen Gewalttaten zu schützen, wohnten der Versammlung bei. Der Bericht fährt weiter fort:

Es kam aber zu keinerlei Störung der öffentlichen Ordnung 17 oder sonstigen Gewalttaten und persönlichen Beleidigungen der Bewohner. Der Zug löste sich friedlich auf.

(Heiterkeit und Zurufe bei den Deutschnationalen.)

- Haben Sie es vielleicht anders erwartet?

(Große Heiterkeit. Zurufe von den Deutschnationalen: Ich bitte das nicht so scherzhaft zu nehmen, Herr Reichskanzler!)


134656A
134656B
134656C

nächste