1. Reichstag, Weimarer Republik


Zurück zur Titelseite oder Zurück zur Homepage


Seite 125

A B

Eisenberger, Abgeordneter: Frauen und Männer!31 Es ist auffallend, daß man gerade bei uns in Bayern in den deutsch-völkischen Zeitungen, auch in den deutschnationalen oder Mittelparteizeitungen eine furchtbare Judenhetze treibt. 32 Ich bin kein Freund der Juden, aber Rassenkampf habe ich nicht geliebt, und gerade die Herren, die jetzt so über die Juden aufschneiden, haben gar keinen Grund dazu. Es ist nämlich furchtbar hart, die Grenze zu ziehen zwischen den beschnittenen und den unbeschnittenen Juden; es gibt christliche Juden, die viel schlechter sind als beschnittene.

(Große Heiterkeit.)

Es steht historisch fest, daß doch eigentlich die alte monarchische Regierung die Juden großgezogen und ihnen überall gehuldigt hat. Ich nenne nur Bismarck, der als Sachwalter die den Hannoveranern, dem Hause der Welfen, gestohlenen 40 Millionen den Juden Bleichröder einsetzte. Ich will auch nicht eingehen auf den alten fahnenflüchtigen Kaiser und seine Hofjuden.

(Pfuirufe rechts. - Heiterkeit links.)

Die Juden haben damals beim Kaiser immer dann Wohlwollen gefunden, wenn sie über Millionen verfügten. Die alte Regierung hat die Juden großgezogen und hat die Geister heraufbeschworen, die sie jetzt nicht mehr loswerden. Wie gesagt, ich bin kein Freund der Juden, aber ich meine, ein derartiger Rassenkampf hat keinen Wert und trägt nicht zur Versöhnung bei.

(Sehr richtig! links.)

Und dann vergessen doch die Deutschnationalen in ihrer Hetze gegen die Juden, daß die Bauernschinder vor dem Jahre 1848 und über das Jahr 1848 hinaus keine Juden waren.

(Sehr gut! links.)

Das waren christliche Juden, das waren Ihre Vorfahren, Herr v. Graefe.

(Große Heiterkeit. - Zurufe rechts.)

Die Grundherren haben damals die Bauern in der Zeit der Leibeigenschaft so geschunden. Gerade die preußischen Junker haben Jahrhunderte die Bauern am meisten geschunden.

(Hört! Hört! links.)


31S.4002C/D
32S.4004D

vorige

Die haben die Bauern viel besser geschunden als alle Juden

(Große Heiterkeit. - Zurufe rechts.)

- Da kennen Sie aber die Geschichte Ihrer Vorfahren sehr schlecht, Herr v. Graefe.

(Große Heiterkeit.)

Ich will nicht weiter darauf eingehen, aber ich meine doch, die Nachkommen der Bauernschinder sollten jetzt nicht so über die Juden schimpfen; denn die Juden haben den Bauernstand lange nicht so geschunden wie Ihre Vorfahren, Herr v. Graefe, die früheren Grundherren und sogar die Herren von Gottes Gnaden.

(Hört! Hört! links.)

Es ist auffallend, daß die Herren von den Deutschnationalen so über die Juden schimpfen; aber es ist ihnen recht, wenn bei der Wahl Stimmen von Juden für sie abgegeben werden,

(Zurufe links.)

auch Gelder. Ihr früherer Parteisekretär, der das deutschnationale "Gewissen" geschrieben hat, hat das schön gekennzeichnet, weil das Geld nicht stinkt.

(Zurufe links.)

Auch haben einige dieser bankrotten adligen Herren zur "Blutauffrischung" Jüdinnen geheiratet,

(große Heiterkeit)

weil das Geld nicht stinkt.

(Erneute Heiterkeit und Zurufe.)

Man muß in der Politik sehr vorsichtig sein, meine Herren.

(Sehr richtig! rechts.)

Gewiß Ruhe und Ordnung müssen sein; aber ich trau den Herren von ganz rechts nicht, wenn sie wieder obenaufkommen, kann es wieder so gehen, wie es unseren Vorfahren gegangen ist.

(Sehr gut! links.)

Das fürchten wir, meine Herren, und deswegen sage ich: Vorsicht, die Katze läßt das Mausen nicht.

(Große Heiterkeit.)